Weiterentwicklung des Morbi-RSA

Hintergrund

Die Stärkung des Wettbewerbs innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) stellt ein prominentes Ziel der gesundheitspolitischen Bestrebungen der letzten Jahre dar. Vor dem Hintergrund der in Deutschland grundsätzlich freien Kassenwahl, stellt der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) ein notwendiges Instrument zur Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs dar.

Maßgebliches Kriterium des Leistungsbedarfs und damit des Ausgabenrisikos eines Versicherten ist dessen Krankheitslast. Wie diese im derzeitigen RSA erfasst und berücksichtigt werden soll, ist jedoch umstritten. Das WIG2 Institut hat in seinem Diskussionspapier "Weiterentwicklung der Morbiditätsparameter im Morbi-RSA: 7 Thesen und Vorschläge" verschiedene Ansätze sowie Optimierungsmöglichkeiten für die faire Ausgestaltung des Krankenkassen-Finanzausgleichs erarbeitet.

Informationen im Überblick

Titel: Diskussionspapier zur Weiterentwicklung der Morbiditätsparameter im Morbi-RSA – 7 Thesen und Vorschläge

Motivation: Bislang ist umstritten, in welcher Weise die Morbidität gemessen und entsprechend sinnvoll in den Risikostrukturausgleich einbezogen werden kann. Das WIG2 Institut weist Kritikpunkte auf und formuliert Thesen für den zukünftigen Umgang mit dem Morbi-RSA.

Diskussionsgegenstand: Weiterentwicklungspotenziale des Morbi-RSA

Methodisches Vorgehen: systematische Literaturanalyse

Weiterentwicklung der Morbiditätsparameter im Morbi-RSA: 7 Thesen und Vorschläge

Leipzig, Mai 2017

Kern des Diskussionspapiers vom WIG2 Institut ist die kritische Auseinandersetzung mit der bisherigen Ausgestaltung des Morbi-RSA. Dabei werden als zentrale Probleme der Aufgriff und die Klassifikation von Morbidität selbst identifiziert. Das ausschließliche Betrachten ambulanter Diagnosen dürfte in diesem Zusammenhang keine hinreichende Basis darstellen. Auch sei kritisch zu bewerten, dass derzeit lediglich 80 Krankheiten in der Bewertung der Krankheitslast Berücksichtigung finden würden. Eine Vielzahl von Wirkzusammenhängen einzelner Krankheitsbilder miteinander würde damit größtenteils vernachlässigt.

Einen weiteren Kritikpunkt stellt im Rahmen der Bewertung des Morbi-RSA die Fokussierung auf quantitative Bewertungskriterien wie das R2 dar. Qualitative Bewertungskriterien wie die Betrachtung von Manipulationsresistenz, die Vermeidung von Risikoselektion oder auch die Betrachtung von Anreizen für eine wirtschaftliche und qualitative Optimierung der Versorgung sollten ebenfalls betrachtet werden.

Somit weist der Morbi-RSA nach wie vor Schwächen auf. Das eigentlich verfolgte Ziel des Morbi-RSA – ein fairer Wettbewerb zwischen den Krankenkassen, der Anreize zur Risikoselektion minimiert – konnte bislang nicht erreicht werden. So bleiben vor allem Anreize zur Risikoselektion weiterhin bestehen. Diskussionsgegenstand – sowohl in Wissenschaft als auch in der Praxis – ist auch, dass eine Vielzahl an Kriterien im RSA bislang keine Berücksichtigung finden. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auch auf regionale Aspekte zu verweisen.

Im Folgenden erhalten Sie eine strukturierte Übersicht über die vom WIG2 Institut aufgestellten Thesen. Diese enthalten eine kurze Erläuterung, die im Rahmen des Diskussionspapiers eine umfassendere Ausführung erfährt.

Thesen und Schlussfolgerungen

THESE 1: Zur Bewertung des Morbi-RSA und möglichen Anpassungen sollten qualitative Kriterien mindestens ebenso hoch gewichtet werden wie statistische Gütemaße.

Vor dem Hintergrund des Ziels, den Wettbewerb um Versorgungsoptimierung anstelle von  Risikoselektion zu fördern, wird auch eine stärkere Orientierung an qualitativen Bewertungskriterien notwendig.

THESE 2: Analysen und Anpassungen des Morbi-RSA sollten auch jenseits der bestehenden Systematik ermöglicht und umgesetzt werden; denn diese hat Schwachstellen.

Trotz einiger Verbesserungen im Rahmen der 2009 eingeführten Morbiditätsorientierung kann weiterhin konstatiert werden, dass systemische Schwächen im Verfahren bestehen, die unter anderem Anreize zu Risikoselektion begünstigen. Es wird daher eine Korrektur dieser Schwächen vorgeschlagen.

THESE 3: Das derzeitige Verfahren der Krankheitsauswahl wirkt sich auf den Krankenkassenwettbewerb aus.

Ein zentraler Aspekt des aktuellen Morbi-RSA-Verfahrens stellt die Auswahl der zu berücksichtigenden Erkrankungen dar, welche derzeit auf 80 begrenzt ist. Diese Begrenzung sowie der Auswahlprozess an sich sind indes infrage zu stellen, da unter anderem Wechselwirkungen bei Multimorbiditäten nicht in hinreichendem Umfang berücksichtigt werden.

THESE 4: Ambulante Diagnosen sind nicht das geeignetste Instrument zur Erfassung von Morbidität.

Die namensgebende Morbidität spielt im aktuellen Verfahren des Morbi-RSA eine tragende Rolle. Die Erfassung dieser Erkrankungen stellt indes einen weiteren identifizierten Kritikpunkt dar. In Deutschland erfolgt diese Erfassung maßgeblich über stationäre und ambulante Diagnosen. Wie das WIG2 Institut festgestellt hat und die aktuelle Debatte um Manipulationen verdeutlicht, sollte die Nutzung ambulanter Daten vor allem im internationalen Vergleich infrage gestellt werden. Stattdessen gibt es alternative Verfahren, deren Einbezug in den Morbi-RSA diskutiert werden sollte. Hierzu zählen beispielsweise andere Berücksichtigungsweisen stationärer Versorgungs- oder Verordnungsdaten.

THESE 5: Es sollten Anpassungen vorgenommen werden, die die Manipulationsanfälligkeit des Verfahrens verringern.

Das aktuelle Ausgleichsverfahren des Morbi-RSA bietet Ansatzpunkte zur Manipulation. Es wird dargelegt, wie das manipulative Eingreifen in den Wettbewerb möglich ist und welche empirischen Untersuchungen derartige Tendenzen belegen.

THESE 6: Die Hierarchisierung sollte differenzierter nach weiteren klinischen Gesichtspunkten ausgestaltet werden.

Auch für die Ausdifferenzierung und Hierarchisierung des zu berücksichtigenden Krankheitsspektrums gibt es alternative Möglichkeiten, die als Reformoptionen in die aktuelle Diskussion einfließen sollten.

THESE 7: Es existieren bekannte kostenrisikorelevante Faktoren, die im aktuellen Verfahren keine Berücksichtigung finden.

In der Wissenschaft sowie in der internationalen Praxis finden sich erfolgreich angewendete Risikofaktoren, die im aktuellen Verfahren des Morbi-RSA nicht berücksichtigt werden. Insbesondere der sozioökonomische Status, die Regionalität sowie die Pflegebedürftigkeit kristallisieren sich als relevante und umsetzbare Faktoren für den deutschen RSA heraus.

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