Grenzen des Morbi-RSA – Thesen und Empfehlungen zur Weiterentwicklung

Einst als wettbewerbsstärkendes Instrument innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung eingeführt, ist der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich in Teilen nach wie vor umstritten. Insbesondere im Zusammenhang mit dem Kriterium der Morbidität – der Krankheitslast – wird vermehrt Kritik laut. Das WIG2 Institut hat vor diesem Hintergrund sieben Thesen und Handlungsempfehlungen für die Optimierung des Morbi-RSA entwickelt.  

Die von WIG2 entwickelten Thesen ziehen zum einen ein vorläufiges Fazit, zum anderen werden Zukunftsperspektiven aufgezeigt. Als eine der zentralen Schwierigkeiten wird der Einbezug der Morbidität selbst in den Risikostrukturausgleich identifiziert. Offen bleibt, inwiefern diese validiert und damit sinnvoll einbezogen werden kann. Eine ausschließliche Stützung auf ambulante Diagnosen stellt in diesem Zusammenhang keine hinreichende Beurteilungsbasis dar. Auch ist in diesem Zusammenhang kritisch zu betrachten, dass bislang ausschließlich 80 Krankheiten in der Betrachtung Berücksichtigung finden. Wechselwirkungen bei Multimorbiditäten etwa würden damit größtenteils vernachlässigt.

Auch ist die ausschließliche Verwendung quantitativer Daten im Rahmen der Bewertung des Morbi-RSA kritisch zu beurteilen. Insbesondere vor dem Hintergrund, einen Wettbewerb um Versorgungsoptimierung statt um Risikoselektion zu bewirken, dürften qualitative Gesichtspunkte nicht vernachlässigt werden. Außerdem scheint das Verfahren nach wie vor anfällig für Manipulationen. WIG2 entwickelt vor diesem Hintergrund – angelehnt an empirische Untersuchungen – Anpassungsempfehlungen, die die Gefahr einer Manipulation zu verhindern vermögen.

Mithin weist das Verfahren des Morbi-RSA in Deutschland nach wie vor gewisse Schwachstellen auf. So bleiben etwa Anreize zur Risikoselektion weiterhin bestehen. Sowohl in der Wissenschaft als auch in der internationalen Praxis werden überdies relevante Risikofaktoren diskutiert, die im Rahmen des Risikostrukturausgleichs bislang unberücksichtigt bleiben. Dabei kristallisieren sich insbesondere die Betrachtung des soziokulturellen Status, der Regionalität und der Pflegebedürftigkeit als relevante und damit durchaus zu integrierende Gesichtspunkte heraus. Dies dürfte insofern notwendig sein, da das eigentliche Ziel des Morbi-RSA – fairer Wettbewerb zwischen den gesetzlichen Krankenkassen bei verminderten Anreizen zur Risikoselektion –  in seiner aktuellen Form nicht gänzlich erreicht werden konnte.  

Das Diskussionspapier können Sie hier downloaden.

Die sieben Thesen im Überblick:

These 1: Zur Bewertung des Morbi-RSA und möglichen Anpassungen sollten qualitative Kriterien mindestens ebenso hoch gewichtet werden wie statistische Gütemaße.

Mit Hilfe des Morbi-RSA sollen Anreize zur Risikoselektion möglichst eliminiert und damit ein fairer Wettbewerb zwischen den Krankenkassen gewährleistet werden. In diesem Zusammenhang sind, WIG2 zufolge, ebenso qualitative Kriterien zu betrachten. Darunter fallen unter anderem die Versorgungsneutralität und die Manipulationsresistenz wie auch Aspekte der Verfahrenstransparenz oder Anreize für eine qualitativ hochwertige Versorgung.

These 2: Analysen und Anpassungen des Morbi-RSA sollten auch jenseits der bestehenden Systematik ermöglicht und umgesetzt werden; denn diese hat Schwachstellen.

Das hauptsächliche Ziel des Morbi-RSA liegt darin, Anreize zur Risikoselektion einzuschränken. WIG2 identifiziert in diesem Zusammenhang allerdings nach wie vor systemische Schwachstellen. Aufgrund dieser würden Anreize zur Risikoselektion bislang vielmehr begünstigt.

These 3: Das derzeitige Verfahren der Krankheitsauswahl wirkt sich auf den Krankenkassenwettbewerb aus.

Der Morbi-RSA als Methode basiert auf der jährlichen Auswahl von 80 Krankheiten. Folglich finden nicht sämtliche Krankheiten im GKV-Finanzausgleich Berücksichtigung. Hier setzt die Kritik von WIG2 an. Aufgrund der Einschränkung auf eine bestimmte Anzahl an Krankheiten bleiben etwa Wechselwirkungen bei Multimorbiditäten größtenteils unberücksichtigt.

These 4: Ambulante Diagnosen sind nicht das geeignetste Instrument zur Erfassung von Morbidität.

Die namensgebende Morbidität spielt im aktuellen Verfahren des Morbi-RSA eine tragende Rolle. Die Erfassung dieser Erkrankungen stellt indes einen weiteren identifizierten Kritikpunkt dar. In Deutschland erfolgt diese Erfassung maßgeblich über stationäre und ambulante Diagnosen. Wie das WIG2 Institut festgestellt hat und die aktuelle Debatte um Manipulationen verdeutlicht, sollte die Nutzung ambulanter Daten vor allem im internationalen Vergleich infrage gestellt werden. Stattdessen gibt es alternative Verfahren, deren Einbezug in den Morbi-RSA diskutiert werden sollte. Hierzu zählen beispielsweise stationäre Versorgungsdaten sowie Apothekendaten.

These 5: Es sollten Anpassungen vorgenommen werden, die die Manipulationsanfälligkeit des Verfahrens verringern.

Insbesondere auf Seiten der Krankenkassen weist das Verfahren des Morbi-RSA eine gewisse Manipulationsanfälligkeit auf. Auf unterschiedliche Art und Weise – etwa durch das Nichtmelden oder Verzerren von Daten – entstehen für Krankenkassen entscheidende finanzielle Vorteile. Diese Manipulationsanfälligkeit gilt es durch Umstrukturierungen zu reduzieren.

These 6: Die Hierarchisierung sollte differenzierter nach weiteren klinischen Gesichtspunkten ausgestaltet werden.

Bislang werden mögliche Begleiterkrankungen von Patienten anhand einer Hierarchisierung bestimmter Klassifikationsgruppen bewertet. Dabei werden Versicherte über die zu erwartenden Kosten exakt einer bestimmten Zelle zugeordnet. Mit dieser Zuordnung ist entweder ein fester Beitrag oder eine Grundpauschale verknüpft, die ebenfalls individuelle Gesichtspunkte einbezieht. Wissenschaftliche Publikationen legen wiederum weitere Möglichkeiten dar, etwaige Begleiterkrankungen zu erfassen.

These 7: Es existieren bekannte kostenrisikorelevante Faktoren, die im aktuellen Verfahren keine Berücksichtigung finden.

Das Verfahren des Morbi-RSA weist aktuell noch gewisse Schwachstellen auf. So werden sowohl in der Wissenschaft als auch in der internationalen Praxis relevante Risikofaktoren diskutiert, die im Rahmen des Risikostrukturausgleichs bislang unberücksichtigt bleiben. WIG2 identifiziert dabei vor allem den soziokulturellen Status, die Regionalität sowie die Pflegebedürftigkeit als weitere relevante Kriterien, die im Hinblick auf eine Integration in den Morbi-RSA zur Diskussion stehen sollten.

Weitere Informationen finden Sie zudem in unserer Pressemitteilung.

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