Maßgebliche Beeinflussung der ärztlichen Kodierpraxis durch Krankenkassen bestätigt

WIG2 Institut veröffentlicht neues Gutachten im Auftrag der Techniker Krankenkasse

Ursprünglich sollte die Einführung des Morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) im Jahr 2009 Kostenrisiken für Krankenkassen so ausgleichen, dass ein fairer Wettbewerb gewährleistet ist. Die finanziellen Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds richten sich daher an der tatsächlichen Risikostruktur der Versichertenklientel einer Krankenkasse aus. Fehlanreize, beispielsweise zur Risikoselektion, sollen so direkt unterbunden werden. Diese Ausgleichszahlungen basieren allerdings auch auf ambulant kodierten Diagnosen. Die Manipulation der ärztlichen Kodierungen stellt daher einen besonderen Anreiz dar, um einen höchstmöglichen Kostenausgleich zu erwirken. Doch treten solche Kodierbeeinflussungen in der ärztlichen Realität wirklich auf? Diese Fragestellung untersuchte das WIG2 Institut in einem durch die Techniker Krankenkasse (TK) beauftragten Gutachten.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass das Kodierverhalten der Ärzte seitens der Krankenkassen in der Praxis tatsächlich wesentlich beeinflusst wird. Mit 82 Prozent gab ein Großteil der insgesamt 1.000 von DocCheck befragten vertragsärztlichen Leistungserbringer an, bereits Kodierempfehlungen von Kassen erhalten zu haben. Zwar ist eine solche Einflussnahme durch den Gesetzgeber seit April dieses Jahres mit dem Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG) ausdrücklich untersagt. Die Untersuchungen des WIG2 Instituts ergaben allerdings, dass auch nach Inkrafttreten des HHVG immerhin noch 18,2 Prozent der befragten Ärzte weiterhin Kodierempfehlungen durch Krankenkassen erhielten. Diagnosekodierungen wurde dabei vor allem durch eine direkte Beratung verfälscht.

Eine Manipulation in diesem Bereich ist deshalb so problematisch, da sie die Validität und Reliabilität des auf den Kodierungen basierenden Krankheitsklassifikationssystems deutlich verzerrt. So werden etwa höhere Versorgungsausgaben veranschlagt, als für die Deckung des realen Bedarfs tatsächlich notwendig wären. Die Krankenkassen profitieren in diesen Fällen des so genannten „Upcodings“ also von unrechtmäßig hohen Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds. Auch können Kodierverzerrungen infolgedessen eine Veränderung von Risikoprofilen und damit eine GKV-übergreifend ineffiziente Mittelverteilung bewirken. So würden leichte Erkrankungen in zukünftigen Bewertungsverfahren unter Umständen schwerer eingestuft. Im Umkehrschluss würden dadurch schließlich weniger Ressourcen für korrekt als schwerwiegend klassifizierte Erkrankungen zur Verfügung stehen.

Trotz nachlassender Einflussnahme auf die ärztlichen Kodierungen seitens der Krankenkassen infolge des HHVG verfehlt der Morbi-RSA in seiner aktuellen Ausrichtung nach wie vor seine ursprüngliche Zielsetzung. Ein fairer Wettbewerb unter den Krankenkassen sowie eine effiziente und qualitativ hochwertige Versorgung ist demnach nur eingeschränkt gewährleistet. Ausgleichsgelder und assoziierte Ressourcen werden zweckentfremdet und in die Beeinflussung Morbi-RSA-relevanter Kodierungen investiert. Die Mehrausgaben hierfür trägt schließlich der Versicherte. Eine Veränderung der in den Morbi-RSA einbezogenen Krankheiten könnte etwaige Manipulationsanreize im Rahmen der Diagnosekodierungen reduzieren. So dürfte eine geringere Gewichtung von häufig auftretenden, manipulationsanfälligen Krankheiten Anreize zur Einflussnahme minimieren. Künftig ist der Morbi-RSA mit Blick auf eine stärkere Manipulationsresistenz wie auch hinsichtlich einer allgemeinen Reduktion von Manipulationsanreizen auf Seiten der Krankenkassen zu überarbeiten. Diese und weitere Ansätze zur Verbesserung und faireren Ausgestaltung des Morbi-RSA hat das WIG2 Institut bereits in einem eigenen Diskussionspapier dargestellt.

Weitere Informationen zu der durch die Techniker Krankenkasse beauftragten Studie finden Sie außerdem online unter: https://www.tk.de/tk/themen/risikostrukturausgleich/ergebnisse-gutachten/964202.

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Martin Blaschka
Leiter Institutskommunikation

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