Coronapandemie und Morbi-RSA

Thesen zum Einfluss des Versorgungsgeschehens im 1. Halbjahr 2020 auf die Funktionalität des Ausgleichssystems

Benjamin Berndt und Dr. Dennis Häckl

Die seit Beginn des Jahres 2020 andauernde Pandemie im Zuge der Verbreitung des Virus SARS-CoV 2 (sogenannte Coronapandemie) hat die Inanspruchnahme medizinischer Versorgung in Deutschland nicht zuletzt auf Grund erheblicher Beschränkungen des öffentlichen Lebens seit Mitte März sichtbar verändert. Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen, die Umstrukturierung des Krankenhausangebots sowie die vielfältigen Veränderungen in den ambulanten Versorgungsabläufen lassen vermuten, dass zumindest für das erste Halbjahr 2020 von einer deutlich veränderten Kostenstruktur der Ausgaben für GKV-Versicherte auszugehen ist. Zugleich beeinflusst das veränderte Inanspruchnahmeverhalten die dokumentierte Morbidität der Versicherten, die als Behandlungsdiagnosen im ambulanten und stationären Bereich im Zuge der Abrechnungen geliefert werden.

Der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) setzt für die Prognose von Ausgabenrisiken auf die Verbindung von Kosteninformationen und retrospektiver Morbiditätsmessung. Der in den vergangenen Monaten beobachtbare exogene Schock für die Gesundheitsversorgung wird daher auch mittelbar erhebliche Auswirkungen auf die Berechnungsgrundlagen des Risikostrukturausgleichs (RSA) haben. Offen ist, inwieweit dies Folgen für die gesetzlich festgelegten Ziele des Ausgleichssystems haben wird.

Das vorliegende Thesenpapier widmet sich der Diskussion der möglichen Auswirkungen der Coronapandemie auf den Morbi-RSA. Dazu wird zunächst kursorisch ein Überblick über die fragmentarisch vorliegenden Erkenntnisse zum Geschehen in der Versorgungslandschaft im ersten Halbjahr des Jahres 2020 gegeben und die Auswirkungen auf die Kostenseite der Krankenkassen skizziert. Darauf aufbauend werden die möglichen Folgen dieser Entwicklung auf die Performance des RSA beschrieben. Bezugspunkt der Diskussion sind die gesetzlichen Zwecke des Morbi-RSA gemäß den Vorgaben des § 266 SGB V. Im Fokus stehen daher insbesondere der Ausgleich von strukturellen Unterschieden in der Verteilung der Risikomerkmale zwischen den Krankenkassen (Wettbewerbsebene) und die Verringerung von Anreizen zur Risikoselektion (Versichertenebene). Es wird diskutiert, inwieweit mögliche coronabedingte Veränderungen in der Datengrundlage in relevanten Bereichen zu Verwerfungen gegenüber der bisher bekannten bzw. prognostizierten Wirkungsweise des Ausgleichssystems führen können. Zur besseren Unterscheidung von Effekten werden die Ausgleichsjahre 2020 und 2021 getrennt voneinander betrachtet.