Analyse der psychischen Krisen- und Notfallversorgung in Bayern

Unter einer psychischen Krise versteht man eine Überforderung des gewohnten Verhaltens- und Bewältigungssystems durch belastende innere oder äußere Auslöser. Für Betroffene ist es daher zur Vermeidung weiterer schwerwiegender gesundheitlicher Auswirkungen essenziell, so schnell wie möglich zielgerichtete Unterstützung durch geeignete Formen der psychiatrischen Krisenintervention zu erhalten. Für den Freistaat Bayern gibt es aktuell keinen vertieften, systematischen Überblick über die Angebote der psychosozialen und psychiatrischen Krisen- und Notfallversorgung. Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) hat daher eine Studie mit dem Ziel initiiert, einen solchen zu erstellen und dadurch eine Abschätzung der aktuellen Versorgungssituation zu erhalten. Daraus können im Anschluss etwaige Handlungsbedarfe und -empfehlungen zur Sicherstellung einer bedarfsgerechten Versorgung abgeleitet werden.

Hintergrund

Psychische Krisen zeichnen sich durch Überforderung der individuellen oder sozialen Ressourcen des Betroffenen, bedingt durch innere oder äußere Stressauslöser, aus. Die Ursachen dafür sind vielfältig und können beispielsweise auf lebensverändernde Umstände wie Verlusterlebnisse oder psychische Erkrankungen wie Depressionen oder auch Angststörungen zurückgeführt werden. Wenngleich der Übergang zwischen psychischen Krisen und psychiatrischen Notfällen mitunter fließend ist, ist ein psychiatrischer Notfall häufig durch eine akute Gefahr für Gesundheit und Leben der Betroffenen oder Dritter geprägt.

In diesem Fall kann die psychiatrische Krisenintervention Unterstützung bieten. Sie zielt darauf ab, innerhalb von Tagen oder Wochen eine Veränderung der zugrundeliegenden Bedingungen herbeizuführen, bei der zumeist auch nichtärztliche professionelle Hilfe erforderlich ist (Schmauß, M., Messer, T., Laux G., 2016). So findet die Versorgung psychischer Krisen und psychiatrischer Notfälle zunächst in großen Teilen außerhalb der psychiatrischen Versorgungslandschaft (z. B. durch Hausärzte, Not- und Rettungsdienste, Notfallambulanzen somatischer Kliniken) statt; zudem bestehen verschiedene niedrigschwellige Angebote wie Sozialpsychiatrische Dienste.

Neben einem systematischen Überblick aller Angebote und Formen zur Versorgung von psychischen Krisen und psychiatrischen Notfällen fehlen aktuell jedoch auch Informationen zur Inanspruchnahme im Zeitverlauf und zur Bedarfsgerechtigkeit dieser Versorgungsformen in Abhängigkeit der Ursache und des Anlasses der akuten psychischen Krisensituation.

Vorgehen

Ziel des Projektes ist es zunächst, die aktuelle Versorgungssituation der von psychischen Krisen und Notfällen Betroffenen zu erfassen und zu beschreiben. Hierfür wird eine strukturierte Literaturanalyse durchgeführt, anhand derer maßgebliche und aktuelle Literatur zum Thema der psychischen Krisen erfasst und aufbereitet wird. Diese zielt zudem darauf ab, Leistungserbringer, die an der Versorgung psychischer Krisen und Notfälle beteiligt sind, darzustellen und zu beschreiben. Basierend auf einer Internetrecherche schließt sich daran eine Bestandsanalyse zu den im Freistaat Bayern vorhandenen Angeboten und Formen der psychischen Krisen- und Notfallversorgung an, wobei ein besonderer Fokus auf denjenigen Versorgungsangeboten mit regionaler Variation liegt. Unter Nutzung verfügbarer Sekundärdaten soll weiterhin – mit gleichbleibendem Fokus – die Entwicklung der Inanspruchnahme von Angeboten der psychischen Krisen- und Notfallversorgung im Zeitverlauf analysiert werden.

Zur qualitativen Erfassung und Beschreibung von spezifischen Anforderungen und Bedarfen werden leitfadengestützte Expert:inneninterviews durchgeführt. Im Zuge dieser Informationsgewinnung sollen auch die Aspekte der Vernetzung der Akteure, Veränderungen der Inanspruchnahme in Folge der Einführung regionaler Krisendienste im Freistaat Bayern sowie Erreichbarkeit, Bekanntheit und Zugänglichkeit der Angebote der Krisen- und Notfallversorgung qualitativ adressiert werden. Hierfür werden Interviews mit etwa zehn Expert:innen aus dem Bereich der psychischen Krisen- und Notfallversorgung des Freistaates Bayern geführt. Die Verwendung eines vorab entwickelten Leitfadens stellt eine valide und zielgerichtete Erhebung aller vorab identifizierten, relevanten Faktoren sicher. Aufbauend auf den Forschungsergebnissen, die durch den skizzierten Mixed-Methods-Ansatz gewonnen wurden, schließt das Projekt mit der Ableitung von Handlungserfordernissen und ‑empfehlungen. Jene thematisieren die Sicherstellung einer bedarfsgerechten Versorgung von Personen, die von psychischen Krisen und Notfällen betroffen sind. 

Ziel

Das übergreifende Ziel der Studie ist es, den Status quo der psychischen Krisen- und Notfallversorgung in Bayern dezidiert zu beschreiben und zu analysieren. Neben der regionalspezifischen Darstellung der Versorgungsangebote soll vor allem auch deren Inanspruchnahme sowie der Bekanntheitsgrad und die Erreichbarkeit der verschiedenen Angebotsformen untersucht werden. Das vorliegende Projekt strebt zudem eine Abschätzung des Einflusses eines veränderten Leistungsangebotes (insb. durch die Einführung der Krisendienste in Bayern) auf die Inanspruchnahme anderer Versorgungsangebote an. All dies mündet in einer Ableitung von Handlungserfordernissen und -maßnahmen zur Weiterentwicklung der psychischen Krisen- und Notfallversorgung in Bayern.

Am WIG2 Institut sind maßgeblich Lisa Schmiedel (1. v. l.), Josephine Thiesen (2. v. l.) und Roman Kliemt (3. v. l.) an dem Projekt beteiligt. Die Projektleitung erfolgt durch Dr. Franziska Claus (4. v. l.).

Auftraggeber:

Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit

Projektlaufzeit: September 2023 – September 2024

 

Stand: Oktober 2023