Review of Economics: WIG2 mit Paper zur räumlichen Deprivation vertreten

Wie bereits in den Jahren zuvor erschien auch im April 2019 wieder die erste Ausgabe der jährlichen Review of Economics (Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften) im De Gruyter Oldenbourg-Verlag. Besonders erfreulich für das WIG2 Institut: In dem Heft wurde das Paper „Räumliche Deprivation und ihre Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung: konzeptionelle Aspekte, Messungen und Erkenntnisse aus Deutschland“ veröffentlicht, an dem unsere Leiterin für Gesundheitsökonomie Ines Weinhold und unser Wissenschaftlicher Mitarbeiter Danny Wende mitgewirkt haben.

Dass der Wohnort einer Person ihre Gesundheit beeinflusst – beispielsweise aufgrund der Luft- und Wasserqualität sowie der materiellen Infrastruktur – ist empirisch nachgewiesen. Doch während die Auswirkungen des sozioökonomischen Status eines Individuums sowie der Einkommensverteilung innerhalb einer Gesellschaft auf die Gesundheit bereits intensiv untersucht wurden, haben regionale Daten und geeignete räumliche Messinstrumente erst seit kurzer Zeit das Interesse der Wissenschaft geweckt. Um strukturelle regionale Effekte zu messen, sind gebietsbezogene Deprivationsindizes in vielen Ländern zu einem gängigen Instrument geworden. Großbritannien verwendet solche Indizes bereits seit 1998, um bedürftige Gebiete zu identifizieren, Ressourcen zur Verbesserung der Lebensqualität und der öffentlichen Gesundheit einzusetzen sowie die Entwicklung der Gemeinden zu beobachten oder verschiedene Regionen zu vergleichen. In Deutschland werden Deprivationsindizes erst in den letzten Jahren auf politischer und wissenschaftlicher Ebene diskutiert, wobei der Schwerpunkt auf Anwendungen in der Gesundheitspolitik liegt. Zwei Mechanismen spielen dabei derzeit eine Rolle:

 

  • Der Risikostrukturausgleich (RSA) soll einen fairen Wettbewerb zwischen den Krankenkassen ermöglichen und eine Risikoselektion verhindern. Die Kostenrisiken werden über demografische und morbiditätsbezogene Risikofaktoren abgebildet. Sozioökonomische und regionale Faktoren sollen zukünftig in der Risikokompensation integriert werden.
  • Der zweite Mechanismus betrifft die Planung und Verteilung vertragsärztlicher Kapazitäten. Die ambulante Bedarfsplanung steuert die Verteilung von Ärzten, indem die Anzahl von Regionallizenzen zur Eröffnung einer Praxis im ambulanten Bereich festgelegt werden. Dieser Mechanismus basiert auf historischen Einwohner-Arzt-Verhältniszahlen, die als Zielquoten einer angenommenen bedarfsorientierten Verteilung aufrechterhalten werden. Um Unterschiede in der regionalen Demografie zu berücksichtigen, werden die Kennzahlen um einen demografischen Faktor modifiziert. Zusätzliche regional gerechtfertigte Modifikationen wären möglich, werden in Deutschland bisher jedoch nicht eingesetzt.

 

Obwohl die Korrelation bestehender Deprivationsindizes und Gesundheitszustände in vielen Studien validiert wurde, gibt es verschiedene Ansätze, sie zu konstruieren und zu messen. Klaren theoretischen Rahmenbedingungen und der methodisch sinnvollen Ableitung flächenbezogener Indizes im Gesundheitskontext wurde bisher allerdings nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Darüber hinaus wird die hohe Anfälligkeit der Ergebnisse der räumlichen Gesundheitsforschung für Gebietsaggregation und Skalierung der Daten bei der Anwendung von Deprivationsindizes kaum berücksichtigt.

Ziel des Papers von Alexander Karmann (TU Dresden), Ines Weinhold und Danny Wende ist es, unter Berücksichtigung der zuvor genannten Aspekte einen Literaturbeitrag zum Thema „räumliche Deprivation“ zu leisten. Hierfür wird ein Messmodell entwickelt, das zwischen materiellen, sozialen und ökologischen Entbehrungseffekten unterscheidet. Es wird eine Strukturgleichungsmodellierung angewandt, um die latenten Dimensionen der Deprivation sowie deren relative Auswirkungen auf das Gesundheitsergebnis endogen abzuschätzen, mögliche Messfehler zu berücksichtigen und die Infrastruktur des Gesundheitswesens zu kontrollieren. Daten wurden auf Ebene der deutschen Gemeindeverbände aus den Jahren 2013 und 2016 verwendet.

Es kann festgestellt werden, dass Abweichungen in sozioökonomischer Entbehrung sowie ökologischen Schäden einen Teil der gesundheitlichen Unterschiede in Deutschland erklären. Die soziale Dimension ist im Gesundheitskontext dabei von größter Bedeutung. Darüber hinaus heben sich die Deprivationsdimensionen gegenseitig auf und die Zusammenfassung in einem Gesamtindex verwischt das vielfältige Bild benachteiligter Räume in Deutschland. Die Analyse kleinräumiger Gebietseinheiten zeigt, dass unterschiedliche Strategien in der Umwelt-, Bildungs- oder Gesundheitspolitik notwendig sind, um die Benachteiligung in verschiedenen Regionen zu verringern.

Die Review of Economics (Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften) ist ein General Interest-Journal, das Artikel aus allen Wirtschaftsbereichen veröffentlicht. Unter diesem Link finden Sie weitere Informationen. Außerdem haben Sie dort die Möglichkeit, das englische Paper zu erwerben.

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