Nachweisanforderungen an die Studienevidenz für dauerhaft gelistete digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) und deren Umsetzung im deutschen DiGA-Verzeichnis: Eine Analyse

Beitrag im Journal BMC Health Services Research, 17.04.2023

 

Kurzbericht:

Mit dem Beschluss des Gesetzes für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale-Versorgung-Gesetz – DVG) ist seit 2019 die Verschreibung von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) in Deutschland möglich. Dies gilt, insofern diese in das Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aufgenommen wurden. Möglich ist eine Aufnahme dann, wenn der Nutzen der DiGA im Hinblick auf die Versorgung von Patient:innen evidenzbasiert mittels einer wissenschaftlichen, vergleichenden Studie nachgewiesen werden konnte. Ein umfassender Überblick über die Anforderungen an wissenschaftliche Studien für die Zulassung und deren tatsächliche Umsetzung im DiGA-Verzeichnis fehlt jedoch. Der Beitrag von Melanie Mäder, Dr. Patrick Timpel, Dr. Tonio Schönfelder, Dr. Carsta Militzer-Horstmann, Sandy Scheibe, Ria Heinrich und J.-Prof. Dennis Häckl im Journal BMC Health Services Research nimmt sich dieser Lücke an. Ziel ist es, zunächst die vom BfArM definierten spezifischen Anforderungen an das Design adäquater Studien zum Nachweis eines positiven Vetrsorgungseffekts zu identifizieren und anschließend die tatsächlich umgesetzte Evidenz für die im DiGA-Verzeichnis dauerhaft gelisteten Anträge zu bewerten.

Methodik

Die Studie bezog alle dauerhaft gelisteten Anwendungen im deutschen DiGA-Verzeichnis (Stand: 15. November 2022) ein. Um dem Forschungsanliegen auf den Grund zu gehen, wurde ein mehrstufiger Ansatz verwendet. Zunächst wurden die Evidenzanforderungen für die im DiGA-Verzeichnis dauerhaft gelisteten DiGA auf Basis einer Analyse der BfArM-Herstellerrichtlinie (Stand: 18. März 2022) nach dem PICOS-Schema identifiziert. Daraus folgte die Extraktion der Anforderungen. Alle extrahierten Daten wurden in ein Datenextraktionsblatt (MS Excel) übertragen und kategorisiert. Schließlich wurde die verfügbare Evidenz der dauerhaft gelisteten DiGA identifiziert, wobei die folgenden Quellen verwendet wurden: DiGA-Verzeichnis, Studienregister (Deutsches Register für Klinische Studien (DRKS), clinical trials.gov, ISRCTN-Register), veröffentlichte Studienprotokolle, veröffentlichte Studienberichte, eingereichte Publikationen von dauerhaft gelisteten DiGA und schließlich Websites der Hersteller. Gearbeitet wurde dabei mit einem vordefinierten Datenextraktionsbogen. Jeder Schritt wurde durch eine Qualitätssicherung begleitet.

Ergebnisse

Ein positiver Versorgungseffekt gilt dann als belegt, wenn durch eine Studie ein (klinisch) relevantes, patient:innenrelevantes und statistisch signifikantes Ergebnis nachgewiesen werden kann. Alle hier betrachteten Studien konnten zum primären Erhebungszeitpunkt einen statistisch signifikanten Unterschied zwischen der Interventions- und der Kontrollgruppe nachweisen und lieferten demnach signifikante Ergebnisse. Im Hinblick auf die Stärke des Effekts konnten bei drei DiGA ein schwacher Effekt (< 0,5), bei sechs DiGA ein mittlerer Effekt (0,5–0,8) und bei vier DiGA ein starker Effekt (> 0,8) nachgewiesen werden. Bei vier Anwendungen konnte keinerlei Effektstärke nachgewiesen werden. Für sechs DiGA wurden keine Effektstärken zum Nachbeobachtungszeitpunkt berichtet. Auch die DiGA, die den kleinsten klinisch relevanten Unterschied verzeichnete, überschritt die Effektgröße. Nach der Analyse der Anforderungen und Umsetzung der Evidenz von dauerhaft gelisteten DiGA lässt sich sagen: Die in der BfArM-Richtlinie geforderten Anforderungen stellen lediglich einen Orientierungsrahmen dar. Jedoch können die identifizierten Faktoren dabei helfen, diese Anforderungen erfolgreich in den Standard der Regelversorgung aufzunehmen.

Zusammenfassung und Ausblick

Die Ergebnisse der Analyse von Mäder et al. zeigen, dass dauerhaft gelistete DiGA höhere Standards erfüllen, als es in der Richtlinie gefordert wird. Bevor es zu der Verschreibung einer DiGA kommt, sollte diese dennoch hinsichtlich ihrer Evidenz sorgfältig geprüft werden. Für Praktiker:innen im Gesundheitswesen bietet sich durch die im Beitrag identifizierten Erfolgsfaktoren ein transparenter Überblick zum Status quo der bereits geprüften Anwendungen. Auch zukünftige Hersteller können dadurch bei der Entwicklung und Bewertung ihrer DiGA unterstützt werden. Im Hinblick auf die verschiedenen Endpunkte, die in der vorliegenden Studie verwendet wurden, sollte in zukünftigen DiGA-Studien ein Fokus auf die relevantesten Outcomes gelegt werden und eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse angestrebt werden (insb. zwischen DiGA, die für dieselbe Indikation angedacht sind). Darüber hinaus sollte der Einsatz von DiGA in der alltäglichen Versorgung Gegenstand weiterer Implementierungsforschung sein. Insgesamt ist ein begleitendes Monitoring von der Anwendungsentwicklung über die Erprobung im Rahmen der Evaluationsstudie bis hin zum Einsatz im Versorgungsalltag notwendig.

Kurzbericht verfasst von Amelie Heinz


Autor:innen:
Melanie Mäder, Patrick Timpel, Tonio Schönfelder, Carsta Militzer-Horstmann, Sandy Scheibe, Ria Heinrich, Dennis Häckl

Zitation:
Mäder, M., Timpel, P., Schönfelder, T., Militzer-Horstmann, C., Scheibe, S., Heinrich, R. & Häckl, D. (2023). Evidence requirements of permanently listed digital health applications (DiGA) and their implementation in the German DiGA directory: an analysis. BMC health services research, 23(1), S. 369. DOI: <https://doi.org/10.1186/s12913-023-09287-w>.