Wo stehen wir auf dem Weg zu einer langfristig stabil und fair finanzierten GKV? Hochkarätige Impulse aus Wissenschaft, Politik und Praxis beim 4. RSA-Fachkongress
Vor dem Hintergrund des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes (GKV-FinStG) und unter dem Motto „Finanzierung der GKV im neuen Fokus“ trafen sich am 19. und 20. Oktober Branchenexpert:innen aus Wissenschaft, Politik, staatlichen Institutionen, Krankenkassen und Wirtschaft zum 4. RSA-Fachkongress. Nach einem exklusiven Kaminabend mit Hintergrundgesprächen vor Ort im Ring-Café Leipzig, bot das ganztägige Programm des Hauptkongresstages am 20. Oktober vor Ort und im Livestream ausreichend Raum für hochkarätige Redebeiträge, perspektivreiche Diskussionen sowie interdisziplinären Austausch und Vernetzung. Die mehr als 100 Teilnehmer:innen nahmen den Status quo der GKV-Finanzierung und die Maßnahmen des Finanzstabilisierungsgesetzes, welches tagesaktuell während des zweiten Kongresstages verabschiedet wurde, aus verschiedenen Blickwinkeln genau unter die Lupe. Auf der Agenda standen zudem Fragestellungen, mit denen sich der Wissenschaftliche Beirat zur Weiterentwicklung des RSA am Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) unmittelbar beschäftigt; darunter zentral die Ausgestaltung eines gerechten und manipulationsresistenten Finanzausgleichs als Basis einer solidarischen GKV-Wettbewerbsordnung. Ein dritter Schwerpunkt lenkte den Blick über den nationalen Tellerrand hinaus und nahm internationale Finanzierungssysteme und deren regulatorische Instrumente in den Fokus. Der 4. RSA-Fachkongress wurde in diesem Jahr vom WIG2 Institut gemeinsam mit der Juniorprofessur Health Economics and Management der Universität Leipzig veranstaltet.
Hintergrund
Die 20. Legislatur brachte mit einer neuen Regierungskonstellation auch einen Wechsel in der Führung des Bundesministeriums für Gesundheit mit sich: Diese steht in finanziell herausfordernden Zeiten vor der elementaren Frage, wie die GKV-Finanzierung langfristig auf tragfähige Beine zu stellen ist. Auch die Evaluationsgutachten zu den Wirkungen der Anpassungen des Risikostrukturausgleichs – der Regionalkomponente, und dem Ausschlussverfahren für auffällige Risikogruppen zur Erhöhung der Manipulationsresistenz – werden in dieser Legislatur erwartet.
Bereits verabschiedet wurde am 20.10.2022 das GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes (GKV-FinStG). Die darin festgeschriebenen Maßnahmen umfassen für 2023 neben einem 2 Mrd. EURO höheren Bundeszuschuss und einem unverzinslichen Darlehen des Bundes in Höhe von 1 Mrd. EURO auch einen Anstieg der variablen Zusatzbeiträge für die Versicherten und zahlreiche Sparmaßnahmen, die im Bereich der vertrags-(zahn)ärztlichen Vergütung und im Bereich Arzneimittelfinanzierung ihre Wirkung entfalten sollen, ohne dass es – wie von der Bundesregierung betont – zu expliziten Leistungskürzungen kommt. Für die gesetzlichen Krankenkassen geht die Reform mit einem übergreifenden Solidarausgleich zur Freisetzung verfügbarer Mittel für höhere Zuweisungen einher. Realisiert wird dieser Ausgleich durch ein weiteres Abschmelzen der Liquiditätsreserven und eine Halbierung der Obergrenze für die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds.
Rückblick – perspektivreiche Expert:innenbeiträge im Laufe des 4-teiligen Hauptkongresstages am 20.10.2022
Nachdem Dr. Ines Weinhold (Geschäftsführerin, WIG2 Institut) und JProf. Dr. Dennis Häckl (Juniorprofessur Health Economics and Management, Universität Leipzig) die Teilnehmer:innen begrüßt und kurz durch die Agenda geführt hatten, baten sie sogleich Stefan Gründer (Leiter Referat 225 Ökonomische Grundsatzfragen und finanzielle Angelegenheiten der GKV, Bundesministerium für Gesundheit) auf die Bühne. Mit seiner
Keynote „Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG): nach der Reform ist vor der Reform.“ legte er eine ideale Informationsgrundlage für spannende Diskussionsrunden im Laufe des Tages. Dabei ging er u. a. auf die Ausgangslage und die Inhalte des Gesetzes sowie eine Auswahl an Kritikpunkten und Änderungen ein, die erst am Vortag in letzten Beratungen des Gesundheitsausschuss beschlossen wurden. Auch die zentralen Parameter der Prognose des Schätzerkreises – darunter die für 2023 erwartete Erhöhung des Zusatzbeitragssatzes der Krankenkassen um 0,2 Beitragssatzpunkte – und die angestrebten Finanzwirkungen des GKV-FinStG wurden aufgezeigt. Mit einem Ausblick zu den Herausforderungen für die GKV-Finanzreform 2023 übergab Stefan Gründer an die Referenten des ersten Panels.
Panel 1 gab anschließend Raum für Stellungnahmen & Lösungsansätze zur finanziellen Stabilisierung der GKV aus drei verschiedenen Perspektiven. Dr. med. Klaus Heckemann (Vorstandsvorsitzender, KV Sachsen) sprach aus Sicht der Ärzt:innen u. a. über einen beteiligungsorientierten Ansatz zur zukünftigen Finanzierung des Gesundheitswesens. Die kritische Perspektive der Arzneimittel-Hersteller auf das GKV-FinStG wurde von Dr. Hubertus Cranz (Hauptgeschäftsführer, Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V.) gespiegelt. Er wies auf verschiedene Problempunkte, z. B. das Ausbleiben wichtiger Innovation und Lieferengpässe hin. Den Blick der Krankenkassen innehabend, präsentierte Justus Geschonneck (Referent für Gesundheitspolitik, IKK e. V. – Interessenvertretung der Innungskrankenkassen) ein Konzept der Innungskrankenkassen zur nachhaltigen GKV-Finanzierung, das u.a. eine Ausweitung der GKV-Einnahmebasis durch Partizipation an Steuereinnahmen durch bestehende oder neu einzuführende Genusssteuern (auf Alkohol, Tabak oder auch Zucker) skizziert. In der anschließenden Diskussionsrunde widmeten sich die Diskutanten des ersten Panels mit Moderator JProf. Dr. Dennis Häckl und dem Publikum u.a. der Frage: „Welche Stellschrauben & Potenziale stehen auf Einnahmen- und Ausgaben-Seite zur finanziellen Stabilisierung der GKV zur Verfügung?“
Im 2. Panel wurden die Teilnehmer:innen von Dr. Shuli Brammli-Greenberg (Hebräische Universität Jerusalem, Israel) mit einem Vortrag über manipulationsresistente Risikoadjustierung im Gesundheitssystem Israels zu einem konzentrierten Blick über den internationalen Tellerrand eingeladen. Nach einer mittäglichen Vernetzungspause gab Prof. Dr. Richard van Kleef (Assistant Professor, Erasmus University Rotterdam) Impulse zur wissenschaftlichen Weiterentwicklung des RSA.
Virtuell zugeschaltet sprach er zum Start des 3. Panels über den Umgang mit dauerhaften Hoch- oder Niedrigkostenfällen in den Zahlungssystemen der Krankenkassen und stellte Forschungsergebnisse zu deren möglicher Abbildung im niederländischen RSA dar. Direkt daran anknüpfend referierte Prof. Dr. Amelie Wuppermann (Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insb. Empirische Mikroökonomik, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) über die wissenschaftliche Erprobung von Constrained Regression im Morbi-RSA anhand von drei Modellen.
Im finalen Kongresspanel wurden RSA-bezogene Herausforderungen 2023 in den Blick genommen. Beim Softwarespezialisten 4K ANALYTICS beschäftigt man sich z. B. bereits mit der GKV-Wettbewerbsentwicklung nach Einführung des GKV-Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetzes im Rahmen erster Datenanalysen. Maximilian Schwarz (Geschäftsführer, 4K ANALYTICS) gab einen Einblick in erste Schätzungen zur Wirkung des GKV-FKG. Aufbauend auf ersten wissenschaftlichen Untersuchungen präsentierte Benjamin Berndt (Bereichsleiter Krankenversicherung, WIG2 Institut) im Folgevortrag eine Vorschau auf die anstehende Evaluation des neuen RSA – u. a. im Kontext von Manipulationsbremse und Coronapandemie.
Nach anregender Abschlussdiskussion verabschiedete Dr. Ines Weinhold die Redner:innen und Teilnehmer:innen. Mit großer Vorfreude blickt sie auf eine beitrags- und diskussionsreiche Auflage des RSA-Fachkongresses im nächsten Jahr zum fünften Mal in Folge:
„Der 4. RSA-Fachkongress endete nach zwei Tagen intensiver und kontroverser Diskussionen mit zahlreichen offenen Fragen für 2023 sowie konkreten und sehr weitreichenden Vorschlägen der verschiedenen Akteure. Auf einen Fahrplan für umfassende Reformen in Hinblick auf Versorgungsstrukturen und langfristige Finanzstabilität drängen alle Stakeholder gleichermaßen – das Bundesministerium für Gesundheit hat weitere Eckpunkte für eine grundlegende GKV-Finanzreform bereits für Mai 2023 angekündigt. Das kommende Jahr wird in dieser Hinsicht ein sehr spannendes und wir werden zeitnah mit viel Diskussionsmaterial in die Planung des fünften RSA-Fachkongresses einsteigen.“
Über das WIG2 Institut
Das WIG2 ist ein unabhängiges und wissenschaftliches Forschungs-institut mit Spezialisierung auf Gesundheitsökonomie und daten-basierte Analytik. Mit dem Ziel, Transparenz bei der Ausgestaltung und Finanzierung des Gesundheitssystems zu schaffen, forschen wissenschaftliche Mitarbeiter:innen zu gesundheitsökonomischen und versorgungstechnischen Fragestellungen, beraten Akteure der Gesundheitswirtschaft und führen Fachveranstaltungen durch.
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