Weiterentwicklung des Verfahrens zur Anpassung des Orientierungswertes nach § 87 Abs. 2g SGB V

Hintergrund

Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) trat ab dem 1. Januar 2009 ein neues Vergütungssystem bei der vertragsärztlichen Versorgung in Kraft. Statt der bis dato geltenden mitgliederbezogenen Kopfpauschale wurde nun eine Gebührenordnung mit festen Preisen und einer Mengensteuerung sowie einer morbiditätsorientierten Bemessung der Gesamtvergütung eingeführt. Das Morbiditätsrisiko wurde damit auf die Krankenkassen übertragen. Um die Transparenz und Kalkulationssicherheit für die Ärzte zu erhöhen und eine Vereinheitlichung der Unterschiede in der Honorierung ärztlicher Leistungen zu ermöglichen, wurde ein prospektiver, fester Punktwert vereinbart – der Orientierungswert (OW). Dieser entspricht dem Preis, zu dem die unter Berücksichtigung honorarabgrenzender Maßnahmen prospektiv vereinbarte Leistungsmenge vergütet wird. Gemäß § 87 Abs. 2e SGB V muss der Bewertungsausschuss den bundeseinheitlichen OW jährlich neu verhandeln und festlegen. Grundlage für die Anpassung bildete seit 2013 das vom Institut des Bewertungsausschusses (InBA) entwickelte Standardverfahren bzw. Grundmodell, welches auf der Veränderung des Punktzahlvolumens des Standardbewertungssystems (StaBS-PZV) für zwei aufeinanderfolgende Jahre beruht. Diverse Gutachten haben sich diesbezüglich bisher insbesondere mit der Bewertung des ärztlichen Leistungsanteils auseinandergesetzt. Derzeit wird über ein aggregiertes Modell nachgedacht, bei dem der technische Leistungsanteil modifiziert werden soll.

Das Gesundheitsökonomische Zentrum der TU Dresden (GÖZ) hat gemeinsam mit dem WIG2 Institut ein Gutachten für die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) erstellt und eine Methodik entwickelt, um die technische Leistungskomponente im Rahmen des geplanten aggregierten Modells zu schätzen, sodass diese zukünftig auf Basis empirischer Daten bestimmt werden kann.

Informationen im Überblick

Titel: Gutachten zur Weiterentwicklung des Verfahrens zur Anpassung des Orientierungswertes nach § 87 Abs. 2g SGB V

Motivation: Ziel des Gutachtens ist es, eine Methodik zur Schätzung der technischen Leistungskomponente im Rahmen des geplanten aggregierten Modells zu entwickeln, sodass diese zukünftig auf Basis empirischer Daten bestimmt werden kann.

Methodisches Vorgehen: ökonomische Theoriebildung

Auftraggeber: Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV)

Laufzeit: 09/2016 - 01/2017

Zusammenfassung der Ergebnisse

Leipzig & Dresden, März 2017

Im Gutachten wurden Vorschläge erarbeitet, wie zukünftig die verschiedenen Faktoren auf Basis einer geeigneten Kostenfunktion empirisch geprüft, umgestaltet und in die Berechnungen zur Anpassung des OW einbezogen werden können.

Die Veränderung des OW kann als Veränderung der Stückkosten bestimmt werden.

Zur Berechnung der Stückkostenveränderungsrate wird vorgeschlagen, die Kosten in variabel, sprungfix und fix zu zerlegen. Allerdings ist die Zuordnung oftmals diskutabel, wobei insbesondere der Zeithorizont eine entscheidende Rolle spielt, da kurzfristig fixe Kosten bei längerfristiger Betrachtung sprungfix oder sogar variabel werden können.

Es wurde gezeigt, dass die Stückosten (und somit auch die OW-Veränderung) als Ergebnis vier einzelner Effekte erfolgt: einem Preiseffekt, einem Preismengeneffekt, einem sprungfixen Effekt und einem Mengeneffekt. Auch hier sind die Ergebnisse wieder stark abhängig von Parametern, für die unterschiedliche Möglichkeiten der Ausgestaltung denkbar sind. Die Gutachter schlagen beispielsweise eine Zerlegung des Inputfaktors Kapital in Eigen- und Fremdkapitalinvestitionen vor.  

Das dargestellte Vorgehen hat den Vorteil, dass es zum einen eine höhere Transparenz und Interpretierbarkeit der Gesamtveränderung des OW bietet und andererseits ermöglicht, die Einflussfaktoren und deren Wirkung empirisch zu schätzen. Durch das skizzierte Verfahren können außerdem die aktuell kritischsten Annahmen des aggregierten Modells aufgehoben werden. Insbesondere die Wirkung der Struktureffekte kann valider erfasst und einbezogen werden.

Realisierte Wirtschaftlichkeitsreserven im engeren Sinne sind identisch mit Zuwächsen der Multifaktorproduktivität (MFP).

Nur diese Größe beschreibt solche Effizienzgewinne der Gesamteinheit (hier: der Arztpraxis), die für eine nachfolgende Verteilung zur Verfügung stehen. Irreführend ist hingegen die Fokussierung auf die Größe Arbeitsproduktivität, da diese sich ändern kann, ohne dass eine Veränderung in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Arztpraxis vorliegt. In der Debatte um die Veränderung des OW ist eine Koexistenz der Begriffe Wirtschaftlichkeitsreserven und Arbeitsproduktivität daher nicht zweckdienlich.

MFP-Zuwächse können nicht allein zu Entlastungen der Kostenträger führen.

Gewinne, die durch die Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entstehen, können zwischen der GKV und dem Leistungserbringer verteilt werden. Im solidarisch finanzierten Gesundheitssystem ist jedoch nicht zu rechtfertigen, dass alle durch MFP-Zuwächse entstandenen Gewinne ausschließlich der Leistungserbringer- oder Kostenträgerseite zustünden. Letzteres würde die davon ausgehenden Anreizwirkungen völlig vernachlässigen und Arztpraxen für Effizienzgewinne mittels des Entzugs von Ressourcen bestrafen, woraufhin diese keine Anstrengungen zur Effizienzsteigerung mehr vornehmen würden. MFP-induzierte Gewinne müssen folglich beiden Seiten zugutekommen.

Die Entwicklung der MFP sollte differenziert nach Kostenträgern erfolgen.

Die Produktivitätsanalyse kann entweder aggregiert für die Gesamteinnahmen und -ausgaben der Arztpraxen erfolgen oder (teil-) disaggregiert, indem die Einnahmeseite nach dem Kostenträger und die Ausgabenseite entsprechend des Aufwands für die Patienten der verschiedenen Kostenträger differenziert wird. Im Sinne der Verhinderung einer Quersubventionierung der unterschiedlichen Kostenträger, sprechen sich die Gutachter für eine disaggregierte Betrachtung aus, da Veränderungen der MFP je nach Kostenträger unterschiedlich ausfallen können.

Die Behandlung der Fixkosten ist Sache der Leistungsanbieter.

Die Forderung nach einer Berücksichtigung der Kostendegression bei Fallzahlsteigerung ist polit-ökonomisch ableitbar vor dem Hintergrund der Einigung darüber, dass ein bestimmtes Fixkostenvolumen pro Arzt vorgehalten wird. Dieser Mechanismus impliziert allerdings auch eine Erhöhung/Reduzierung des Fixkosten-/variable Kostenanteils am Gesamtbudget bei gleicher Leistung.

Ob und inwieweit höhere PKV-Einnahmen zu einer (Fix-)Kosten-Reduktion beitragen, ist allenfalls in Einzeldiskussionen von Inputfaktoren und über realistische Ableitungen von Fixkosten entscheidbar.

Ihre Ansprechpartnerin

Bei inhaltlichen Fragen zu diesem Projekt kommen Sie gerne auf uns zu.

Dipl.-Volksw. Ines Weinhold - Leiterin Gesundheitsökonomie

E-Mail: ines.weinhold(at)wig2(dot)de

Mobil:  +49 (0) 152 06740 259