Artikel zur Bewertung der akzeptierten und realisierten Entfernungen von Patient:innen zur Bestimmung von Erreichbarkeitsstandards für die Größe von Einzugsgebieten in der ambulanten Versorgung

Welche Entfernungen sind für Patient:innen akzeptabel, um eine bestimmte fachärztliche Praxis aufzusuchen? Welche Entfernungen müssen sie tatsächlich zurücklegen? Und welche Erreichbarkeitsstandards lassen sich daraus für die die Größe von Einzugsgebieten im ambulanten Bereich ableiten? Zu diesem Thema wurden am WIG2 Institut umfangreiche Gesundheitsdatenanalysen im Rahmen eines Gutachtens zur Weiterentwicklung der Bedarfsplanung durchgeführt. Die Forschungsergebnisse stehen in einem Artikel zusammengefasst, welcher in der Fachzeitschrift Health Policy erschien.

Abstract

Die Planung von Versorgungsstrukturen zielt darauf ab, eine bedarfsgerechte, gleichmäßig verteilte und lokal verfügbare Gesundheitsversorgung zu gewährleisten. Vielen Planungsmechanismen fehlt es jedoch an Erreichbarkeitsstandards. Um Standards zu bestimmen, können Einzugsgebiete aus der Bewertung zurückgelegter Entfernungen zur Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen und der Distanzakzeptanz der Bevölkerung für verschiedene medizinische Spezialisierungsstufen abgeleitet werden.

Die Distanzakzeptanz beim der Inanspruchnahme unterschiedlicher ärztlicher Fachrichtungen wurde auf der Grundlage einer von repräsentativen Bevölkerungsbefragung (n = 1.598) geschätzt. Darüber hinaus wurden Abrechnungsdaten, die 88 % der deutschen Bevölkerung abdecken (2014/15), verwendet, um die realisierten Entfernungen in Form von PKW-Fahrzeiten für sechs medizinische Fachrichtungen zu berechnen (n = 676.255.605 Fälle). Wir spezifizierten eine gravitationsbasierte Distanzabgewichtungsfunktion und schätzten regressionsbasierte Entfernungsschwellen aus beiden Stichproben.

Die realisierten Wegzeiten zu ärztlichen Praxen lagen meist unter 30 Minuten (90 % der Fälle), was auf eine angemessene mittlere Erreichbarkeit hindeutet. Die beobachtete 5%-Distanzgrenzwert lag zwischen 23,7 Minuten für Allgemeinmediziner und 47,6 Minuten für Dermatologen. Je nach medizinischer Fachrichtung wurde die Akzeptanz von Entfernungen hauptsächlich durch die Entfernung, das Alter, das Aktivitätsniveau und die Stadtgröße bei Hausarztbesuchen und durch den Gesundheitszustand und das Einkommen bei Facharztbesuchen bestimmt. Der 5%-Akzeptanzgrenzwert schwankte zwischen 27,9 Minuten für ältere Patient:innen zum Hausarzt und 51,6 Minuten für jüngere Patient:innen zum Orthopäden. Die akzeptablen Entfernungen für 90 % der Bevölkerung betrugen 6 (8) Minuten zu Hausärzt:innen (Fachärzt:innen). Die Variation der Grenzwerte, die von soziodemografischen und gesundheitlichen Variablen und dem Bevölkerungsanteil abhängt, der sie voll akzeptiert, verdeutlicht, dass Planer im Gesundheitswesen über Durchschnittsbetrachtungen hinausgehen sollten, um gleichen Zugang für gleichen Bedarf zu erreichen.


Autor:innen:
Ines Weinhold, Danny Wende, Christopher Schrey, Carsta Militzer-Horstmann, Laura Schang, Leonie Sundmacher