Hochkarätiger Austausch und spannende Perspektiven beim RSA-Fachkongress 2019

„Der Sommer der Entscheidung“: Unter diesem Motto stand der erste RSA-Fachkongress, den das WIG2 Institut am 26. und 27. Juni in Leipzig ausrichtete. Die seit Frühjahr bekannten Eckpunkte im Referentenentwurf GKV-FKG betreffend der viel debattierten RSA-Reform 2019 – insbesondere Vollmodell, Regionalkomponente, Risikopool und Manipulationsbegrenzung – stießen im Rahmen des zweitägigen Kongresses auf eine breite Diskussion zwischen Fachexperten und -expertinnen aus Wissenschaft, Praxis sowie Politik. Zudem konnten auch neue, internationale Perspektiven auf den RSA ermöglicht werden – beispielsweise aus den Niederlanden und der Schweiz. Dank dieser vielfältigen Einblicke wurde deutlich: Es besteht noch viel Potential für zukünftige Weiterentwicklungen im Risikostrukturausgleich (RSA) in Deutschland, die Weichen sind im Rahmen des aktuellen Reformentwurfs jedoch aussichtsreich gestellt.

Wichtige Implikationen für Politik und Praxis:

  • Für eine wissenschaftlich fundierte Weiterentwicklung des RSA ist es notwendig, transparente Datengrundlagen zu schaffen und nutzbar zu machen (Prof. Dr. Richard van Kleef, Prof. Dr. Normann Lorenz, Dr. Dennis Häckl u.v.m.).

  • In Abhängigkeit der Zielsetzungen und Annahmen des RSA sollten zukünftig auch alternative statistische Kennzahlen zum derzeit genutzten R² intensiv diskutiert und analysiert werden, beispielsweise CPM (Prof. Dr. Normann Lorenz, Prof. Dr. Konstantin Beck).

  • Maßnahmen zur Entgegenwirkung von Manipulationen in der diagnostischen Kodierung sollten schnellstmöglich umgesetzt und Anreize systematisch unterbunden werden – die technischen und administrativen Möglichkeiten dazu sind bereits vorhanden (Prof. Dr. Amelie Wuppermann, Diskussionspanel Krankenversicherungen).

  • Die Versorgungsqualität für den Patienten sollte nach niederländischem Vorbild stärker in den Fokus gerückt werden, bspw. durch systematisches Feedback und qualitätsbasierte Versorgungsverträge mit Leistungserbringern. Zugleich sollte eine vorherrschende Fehl- und Überversorgung im Umfang von bis zu einem Drittel der Leistungen auch in unserem System verstärkt thematisiert werden (Prof. Dr. Ab Klink).

  • Regelmäßige Austauschformate als Dialog zwischen Wissenschaft, Praxis und Politik sowie staatlichen Institutionen sind notwendig, um den Weiterentwicklungsprozess des RSA nach niederländischem Vorbild iterativer auszugestalten und zu beschleunigen (Prof. Dr. Richard van Kleef, Prof. Dr. Ab Klink, Dr. Dennis Häckl).

Der zweitägige RSA-Fachkongress 2019 gliederte sich in insgesamt fünf Themenbereiche. Nach der Eröffnung der Veranstaltung vor mehr als 100 Gästen bei sommerlichen Temperaturen in der Gläsernen Kuppel der Leipziger Volkszeitung (LVZ) folgte eine einleitende Keynote: Petra Brakel, Referatsleiterin für den RSA beim Bundesministerium für Gesundheit (BMG), ordnete den aktuellen Referentenentwurf GKV-FKG mit besonderem Fokus auf den RSA ein. Anschließend vertiefte Dr. Sylvia Demme vom Bundesversicherungsamt (BVA) zu Beginn des ersten Themenblocks den aktuellen Stand der Weiterentwicklung des RSA in Deutschland. Prof. Dr. Normann Lorenz, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre insb. Sozial- und Verteilungsökonomik an der Universität Trier, beleuchtete den RSA daraufhin von seiner methodischen Seite: In seinem Vortrag erläuterte und bewertete Lorenz die derzeit verwendeten Kennzahlen und sprach insbesondere über die Eignung verschiedener Kennzahlen in Abhängigkeit zu den grundsätzlichen Zielsetzungen eines Risikostrukturausgleichs.

Auch der Nachmittag stand ganz im Zeichen der Wissenschaft: Im Themenblock 2 präsentierte zunächst Prof. Dr. Amelie Wuppermann, Martin-Luther Universität Wittenberg-Halle und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat zur Weiterentwicklung des RSA, Zahlen zu Diagnosehäufigkeiten und entsprechenden Auffälligkeiten im zeitlichen Zusammenhang mit der Etablierung des Morbi-RSA seit dem Jahr 2009. Anschließend galt es, über Deutschlands Grenzen hinaus einen Blick auf die Risikoausgleichssysteme unserer Nachbarländer zu werfen: Prof. Dr. Richard van Kleef von der Erasmus University in Rotterdam gab einen breiten Überblick über den niederländischen Risikoausgleich. Insbesondere durch den umfangreicheren Zugang zu Gesundheitsdaten und schnellere Iterationsprozesse in den Niederlanden können, so van Kleef, Reformen im Gesundheitssystem schneller auf den Weg gebracht werden. Im Anschluss daran erörterte der ehemalige niederländische Gesundheitsminister Prof. Dr. Ab Klink, mit welchen Mitteln in den Niederlanden bereits eine deutliche Steigerung der Versorgungsqualität – insbesondere im stationären Sektor – erzielt werden konnte: Über eine Einbindung der Krankenversicherungen und spezielle Versorgungsverträge, die an Qualitätskriterien geknüpft werden . Eine Diskussionsrunde mit bis dato allen Referenten und Referentinnen rundete den fachlichen Teil des ersten Tages ab. Anschließend konnten sich die Gäste zudem noch im Rahmen eines informellen Kaminabends untereinander sowie mit den Fachexperten und -expertinnen bis in die Nacht hinein austauschen.

Am zweiten Kongresstag konnte zunächst eine weitere internationale Perspektive geboten werden: Prof. Dr. Konstantin Beck von der Universität Luzern erläuterte die Unterschiede des deutschen RSA zum Schweizer System, beispielsweise mit einkommensunabhängigen Beiträgen pro Kopf sowie einer „Spitalkostensubventionierung“ . Zudem betonte er – wie schon Prof. Dr. Normann Lorenz am Vortag – ebenfalls Kennzahlalternativen zum aktuell genutzten R².

Im dritten Themenblock „Abbildungen innovativer Therapien im RSA“ referierte Prof. Dr. Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen zu den Herausforderungen bei der Berücksichtigung innovativer und hochpreisiger Arzneimittel im RSA. Anschließend widmeten sich gleich drei Referenten im vierten Themenblock der Abbildung von regionalen Versorgungsstrukturen im RSA. Prof. Dr. Volker Ulrich von der Universität Bayreuth warf zunächst einen Blick auf die grundsätzlichen Herausforderungen durch regionale Versorgungsunterschiede und betonte die Notwendigkeit eines Regionalausgleichs im RSA. Dr. Dennis Häckl, Gründungsgeschäftsführer am WIG2, stellte anschließend einige vom Institut entwickelte methodische Innovationen bei Regionalanalysen vor, insbesondere die Bildung von homogenen Raumzuschnitten anhand regionaler Strukturangebote. Den Abschluss in Themenblock 4 bildete schließlich Thomas Czihal, stellvertretender Geschäftsführer des Zentralinstituts zur kassenärztlichen Versorgung in der BRD (Zi). Er lieferte eine fundierte Einschätzung aus Sicht des Systems der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) und befürwortete ebenfalls ausdrücklich die Einführung einer Regionalkomponente in den RSA. In einer abrundenden Diskussion, moderiert von Prof. Dr. Florian Buchner von der FH Kärnten, kam auch das Fachpublikum mit spannenden Anliegen zu Wort, bspw. der Berücksichtigung von einkommensabhängigen Beitragshöhen bei der Argumentation um regional unter- respektive überdeckte Versorgungsstrukturen im RSA.

Im letzten Themenblock am Nachmittag galt es abschließend, einen Blick auf die Implikationen für die Umsetzung der RSA-Reform zu werfen. Dafür konnten nun die Kostenträger in Form der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) selbst das Wort ergreifen. Björn Degenkolbe, Mitgründer und kaufmännischer Leiter des WIG2 Instituts, moderierte die Diskussionsrunde mit Dr. Barbara Bertele (Die Techniker), Christian Keutel (SBK), Dr. Thomas Schepp (BKK Dachverband) und Christopher Greue (IKK e.V.) Hierbei stand insbesondere zur Diskussion, welchen konkreten Herausforderungen die gesetzlichen Krankenkassen bei der Umsetzung der RSA-Reform gegenüber stehen. Einigkeit bestand nicht nur in der Zustimmung für die meisten Reformeckpunkte, sondern auch darin, dass die Möglichkeiten einer raschen Umsetzung von Gegen-Manipulationsmaßnahmen operativ bereits gegeben ist. Es obliegt Politik und Praxis gleichermaßen, diese schnellstmöglich umzusetzen.

Nach zwei spannenden Kongresstagen mit zahlreichen Einblicken in Wissenschaft, Praxis und Politik schloss Dr. Dennis Häckl die Veranstaltung mit einer Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse des RSA-Fachkongresses. Zugleich kündigte er die Fortsetzung des Formats 2020 an und gab damit den sprichwörtlichen Ball an die Politik zurück. Die Aufgabe liegt nun dort, den Kabinettsentwurf und schließlich das Gesetz GKV-FKG samt RSA-Reform zur Anwendung zu bringen. Wir sind hoffnungsvoll, dass der RSA-Fachkongress 2020 unter dem Motto „Sommer der Erleichterung“ stattfinden  kann – nicht unter dem Motto „Sommer der Ernüchterung“.

Impressionen vom RSA-Fachkongress 2019

 
 

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