14. dggö Jahrestagung 2022

Zur 14. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie in Hamburg erwartete das Fachpublikum am 28. und 29. März ein vielseitiges Programm mit 180 Vorträgen zu aktuellen gesundheitsökonomischen Themen. Auf dem Feld der integrierten Versorgung präsentierten drei Wissenschaftler:innen des WIG2 Instituts ihre Forschungsergebnisse zu sektorenübergreifenden Versorgungsmodellen in der Psychiatrie sowie einem Kardiologieprojekt.



Obwohl in Deutschland bereits erfolgreich auf eine weniger institutionalisierte und stärker patient:innenorientierte Versorgung psychisch Erkrankter hingearbeitet wird, bestehen weiterhin verschiedene Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Um wirksame Alternativen zu finden, die z. B. eine bessere Koordination der zuständigen Fachbereiche und eine weniger zersplitterte Finanzierung der Versorgung ermöglichen, wurden verschiedene sektorenübergreifende, patient:innenzentrierte Behandlungskonzepte entwickelt, die über die aktuelle Regelversorgung hinaus gehen. Mit EVA64 und PsychCare ist das WIG2 Institut maßgeblich an der gesundheitsökonomischen Evaluation von Modellvorhaben in der Psychiatrie beteiligt.

Roman Kliemt präsentierte die Ergebnisse aus 12 Abschlussberichten der Evaluationsstudie EVA64. Die groß angelegte Studie untersucht bundesweit 18 Modellvorhaben zur sektorenübergreifenden Versorgung in der Psychiatrie nach § 64b SGB V unter Einbeziehung von GKV-Sekundärdaten. Als Hauptziel verfolgen die 18 beteiligten psychiatrischen Krankenhäuser eine Versorgungsoptimierung unter möglichst ressourcenschonendem Einsatz der vorhandenen Mittel. Kernelement ist dabei das Zusammenlegen des Budgets für die stationäre Krankenhausbehandlung und der Erlöse der Psychiatrischen Institutsambulanz (PIA). Dadurch sollen neue Behandlungsanreize geschaffen werden. Die Gesamtergebnisse zeigen zwar, dass sich die Versorgungskosten im Mittel nicht signifikant zur Regelversorgung unterscheiden; die Einzelergebnisse sind jedoch sehr heterogen. Bei 5 Modellvorhaben fielen die Gesamtkosten der psychiatrischen Versorgung deutlich geringer aus. Die bisherigen Analysen deuten darauf hin, dass die Schaffung eines Gesamtbudget eine stärkere Ambulantisierung und geringere Versorgungskosten im vollstationären Bereich bewirkt. „Die Ergebnisse sind jedoch vor dem Hintergrund zu diskutieren, dass es sich um Abrechnungsdaten handelt, bei denen Teile der Ergebnisvariation auf Preiseffekte zurückzuführen sind. Hierzu werden weitere Analysen durchgeführt“, so Kliemt.

Das Innovationsfondsprojekt PsychCare untersucht seit Juli 2017 acht Versorgungsmodelle anhand einer kontrollierten, prospektiven, multizentrischen Kohortenstudie. In den Kliniken der Modellversorgung sowie in den Kliniken mit Regelbetrieb wurden Teilnehmer:innen mit häufigen und/oder schweren psychiatrischen Störungen rekrutiert, die zuvor spezifiziert worden waren. Die Kostenbestimmung erfolgte aus gesellschaftlicher Perspektive, welche sowohl direkte als auch indirekte Kosten beinhaltete. Eine weitere Unterteilung erfolgte in direkte medizinische (stationäre Aufenthalte, Tagespflege, ambulante und komplementärer Versorgungsangebote und Medikamente) und nichtmedizinische Kosten (informelle Pflegezeit und Haushaltshilfen). Direkte Kosten beinhaltete zusätzlich die Zuzahlungen der Patient:innen und monetäre Angehörigenbelastung. Die indirekten Behandlungskosten ergaben sich aus den selbst berichteten Arbeitsunfähigkeitstagen (AU-Tage) der Patient:innen sowie vorzeitige Berentung, Arbeitszeitreduktion und Arbeitslosigkeit. In ihren Ausführungen macht Dr. Tarcyane Barata Garcia deutlich, dass sich die Kosten in der Follow‐up‐Periode zwischen Interventions- und Kontrollgruppe in allen Versorgungsbereichen nicht signifikant unterscheiden, mit Ausnahme der Kosten für die vollstationäre Versorgung. In diesem Sektor waren die Kosten in der Kontrollgruppe deutlich höher als in der Interventionsgruppe. Im Baseline-Follow-up-Vergleich zeigten sich für die beide Gruppen signifikante Reduktionen von direkten medizinischen Kosten. Hingegen konnten die direkten nichtmedizinische und indirekte Kosten kaum gesenkt werden. Besonders auffällig war hierbei die erhebliche Senkung der Kosten zur tagesklinischen Versorgung, welche ausschließlich für die Interventionsgruppe beobachtet wurde. Die Kosten für Medikamente, häusliche Pflege und Zuzahlungen stiegen auch nur für die Kontrollgruppe. Die Studienergebnisse weisen auf das gesundheitsökonomische Potenzial der Modellvorhaben hin, wenngleich eine weitere Bewertung ihrer Kosteneffizienz notwendig ist.



Auf dem Gebiet der Kardiologie forscht das WIG2 Institut seit 2020 im Rahmen des Innovationsfondsprojekts EvaClosure. Eric Faß stellte das Projekt vor und wies eingangs darauf hin, dass Vorhofflimmern eine der häufigsten Herzerkrankungen ist, die u. a. mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko, einer höheren Sterblichkeit und einer höheren Zahl von Krankenhausaufenthalten einhergeht. Aufgrund der demografischen Alterung ist mit einem Anstieg der Vorhofflimmern-Prävalenz und der damit verbundenen Gesundheitskosten zu rechnen. Die Behandlung Betroffener erfolgt oftmals ausschließlich medikamentös. Doch bei einigen Patient:innen mit bestimmten Risikofaktoren ist die Behandlung aufgrund des erhöhten medikamenteninduzierten Risikos schwerer Blutungen kontraindiziert. Der perkutane kathetergestützte Verschluss des linken Vorhofohrs (LAAC) ist eine potenzielle Alternative zur Schlaganfallprävention, insbesondere in der Gruppe von Patient:innen mit hohem Schlaganfall- und Blutungsrisiko. Die gesundheitsökonomische Evaluation dieser Behandlungsmethode erfolgt im Rahmen EvaClosure. Die vorgestellte Krankheitskostenanalyse stellt den ersten Auswertungsschritt dar und analysiert die Krankheitskosten von Patient:innen mit Vorhofflimmern und hohem Schlaganfall- und Blutungsrisiko. Nach Abschluss der Datenerhebung im November 2021 wurden erste, vorläufige Ergebnisse vorgestellt.

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