6. RSA-Fachkongress: Das Gesamtpaket funktioniert!
Leipzig, 6. und. 7. November 2024: Defizitäre GKV-Finanzen, Beitragserhöhungen, Scheitern der Ampelregierung in Deutschland und Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten. Umgeben von diesen herausfordernden tagespolitischen Geschehnissen hieß der 6. RSA-Fachkongress Anfang November die RSA-Community in Leipzig willkommen. Mehr als 150 Teilnehmer:innen nutzten das von einigen Gästen bereits vertraut und wertschätzend als „Klassentreffen“ betitelte Forum, um den Risikostrukturausgleich (RSA) als Kerninstrument zum Ausgleich der GKV-Finanzen und die Wirkung des Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetzes (FKG) einem umfassenden Check zu unterziehen.
Für eine breite Debatte aus den verschiedenen Akteuresperspektiven versammelten sich auch in diesem Jahr wieder Expert:innen aus Krankenkassen, Politik und Forschung auf der Bühne und im Plenum des Leipziger Ring-Cafés. Alle waren sich weitestgehend einig, dass die durch das FKG angestoßenen Reformen ihre Wirkung entfalten und sich der RSA zu einem funktionierenden Gesamtpaket entwickelt. Wichtig sei nun, das Tempo herauszunehmen und das Zusammenspiel der Maßnahmen über die nächsten Jahre anhand von Daten kritisch zu prüfen. Damit das gelingt, gilt es, keine weiteren Baustellen aufzumachen aber trotz dessen mit Weitblick an ergänzenden bzw. alternativen Ansätze zu forschen.
Mit diesem Konsens wurden die verschiedenen Themen um den RSA am Mittwochabend bei einem Hintergrundgespräch im trauten Kreis auf eine gute Kongresstemperatur gebracht. Daran knüpften am Folgetag erkenntnisreiche Fachvorträge und Gespräche an, in denen die aktuellen Gutachten zu Manipulationsbremse und Regionalkomponente vorgestellt, ein Fazit zur Wirkung der Vorsorgepauschale gezogen, gleich drei Optionen zur Verringerung von Über- bzw. Unterdeckungen diskutiert sowie auf mögliche wettbewerbsfördernde Parameter zur Qualitätsmessung von GKV-Leistungen jenseits der Preisvariablen geschaut wurde.
Das WIG2 Institut hat den 6. RSA-Fachkongress auch 2024 gemeinsam mit der Juniorprofessur Health Economics and Management der Universität Leipzig veranstaltet.
Bisherige Entwicklung des RSA
Den Hauptkongresstag leitete Andreas Grabowski (Referatsleiter Risikostrukturausgleich, Bundesministerium für Gesundheit (BMG)) mit einem Gesamtüberblick zur bisherigen Entwicklung des RSA ein. Er gab einen zeitlichen Abriss über die verschiedenen Gesetze und die darin verankerten Reformbausteine, mit denen der RSA 2009 auf den Weg gebracht und seither in großen, schnellen Schritten ausgebaut wurde.
Unterdeckungen bei Risikogruppen mit hoher Sterbewahrscheinlichkeit sowie stark überdeckte Beiträge bei Auslandsversicherten und einzelnen Krankenkassen. Das System des RSA zielt seither darauf ab, diesem Ungleichgewicht entgegenzuwirken. Es soll Risikoselektionsanreize vermeiden sowie einen funktionierenden und fairen Wettbewerb sicherstellen – „fair“ im Sinne der Gleichstellung aller Krankenkasse ohne Benachteiligung oder Begünstigung einzelner Kassen und „funktionierend“ im Sinne der Wahrung von Effizienzanreizen im GKV-Finanzsystem.
Mit einem Blick auf die Entwicklung der Deckungsbeiträge zeigt Andreas Grabowski, dass Maßnahmen im RSA-Gesamtpaket nach und nach greifen, denn seit 2015 schließt sich die Schere der Kassen-Deckungsquoten in Richtung 100 Prozent. Er betont, eine Betrachtung der derzeit gestiegenen Zusatzbeiträge sei hingegen nicht das richtige Maß für eine Funktionsprüfung des Ausgleichssystems. Denn die Höhe der Zusatzbeiträge hängt von weiteren Parametern ab, wie z. B. dem Auf- und Abbau von Finanzreserven sowie weiteren Leistungen, die nicht im RSA abgebildet sind.
Mit welchen Wirkweisen und mit welcher Intensität haben Regionalkomponente, Manipulationsbremse und Co auf den Erfolg des Risikostrukturausgleichs eingezahlt? Und welche Alternativen könnten unter welchen Umständen noch dazu beitragen? Antworten darauf klangen in AGs Vortrag bereits an und wurden in den anschließenden Redebeiträgen weiter ausgeführt.
Verwendung von Leistungsausgaben der Vorjahre als zusätzliche Variablen im BAS-Klassifikationssystem
Die Verwendung von Leistungsausgaben der Vorjahre als zusätzliche Variablen im BAS-Klassifikationssystem wurde vor Inkrafttreten des FKG als Alternative mit stärkeren Effizienzanreizen zum Risikopool diskutiert. Obwohl schlussendlich der Risikopool in den deutschen RSA Einzug hielt, erteilte der Gesetzgeber – wohl auch motiviert in die Niederlande schauend, wo ein solches Modell zum Einsatz kommt – dem BAS den Auftrag, diese Option zu untersuchen.
Da sich überdurchschnittlich hohe und außerordentlich niedrige Ausgaben für Versicherte oftmals über einen längeren Zeitraum erstrecken, beruht der Ansatz im Kern darauf, entsprechende Leistungsausgaben auch über einen mehrjährigen Vorjahreszeitraum in die Berechnungen des RSA einfließen zu lassen. Zur Begutachtung verglich das BAS die Leistungsausgaben von Versicherten aus dem Jahr 2019 mit den aufgewendeten Leistungen der Jahre 2016 bis 2018. Die Ergebnisse des Gutachtens stellte Gregor Pier (Gruppenleiter Risikostrukturausgleich, Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS)) zum Einstieg in die erste RSA-Fachkongress-Session vor.
Er zog ein eingeschränkt positives Fazit: Das Modell führt zu einer Verbesserung der Kennzahlen und verringert Risikoselektionsanreize gegen anhaltend kostenintensive Versicherte. Auch die Datenmeldung scheint datensparsam und unter Wahrung der Pseudonymisierung möglich. Aber: Den Vorteilen steht hoher administrativer Aufwand bei der Umsetzung im Ausgleichsverfahren gegenüber. Auch die Prüfungen der Datengrundlage nehmen viel Zeit in Anspruch. Im nächsten Schritt gelte es Pro und Contra abzuwägen und die bisher explorative Untersuchung in einen umsetzungsreifen Vorschlag münden zu lassen.
Regionalkomponente
Regionale Merkmale finden seit Einführung des FKG im RSA-Setting Berücksichtigung. Deren Wirkung wurde anhand des Datenjahres 2021 vom Wissenschaftlichen Beirat untersucht und 2024 in einem Gutachten veröffentlicht. Prof. Dr. Volker Ulrich (Universität Bayreuth und Vorsitzender des Wissenschaftlichen
Beirats am Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS)) fasste die Begutachtung beim RSA-Fachkongress zusammen.
Die Auswertung der Daten zeigt, dass die sogenannte Regionalkomponente wirkt. Ein Abbau starker Über- und Unterdeckungen verringert Anreize zu regionaler Risikoselektion. Regionale Risikogruppen ermöglichen zudem eine Ausdifferenzierung der Basiszuweisungen über Alters- und Geschlechtsgruppen. Ergänzend zu 60 % der regionalen Ausgabenvariationen, die bereits über den Kern-RSA erklärt werden, liefert die Regionalkomponente weitere 15 %. Das noch unerklärte Drittel wurde in der anschließenden Diskussion seitens Jörg Friedrich (Leiter der Abteilung „Gesundheitsfonds und Morbi RSA“, AOK-Bundesverband) als Manko markiert.
Regionalmerkmale sind zudem als Variablen im RSA geeignet, um regionale Deckungsbeitragsunterschiede auf Versichertenebene besser zu erklären. Generell sind Variablen mit Versichertenbezug im Kern-RSA gut aufgehoben, so Prof. Dr. Volker Ulrich, da es sich um ein versichertenindividuelles Ausgleichssystem handelt. Diesen Bezug besitzen neben Morbiditätsvariablen auch Faktoren, die mit Sozioökonomie und Demographie einhergehen. Als solche werden Arbeitslosigkeit, Altersarmut, Versichertenstatus, Zuzahlungsbefreiung, Krankenhausverweildauer und höchster Bildungsabschluss zur Aufnahme in den Kern-RSA und in die Regionalkomponente im Gutachten diskutiert. Die Auswahl beruht auf der im Gutachten über die Jahre als stabil bewerteten Variablenselektion. Auch Pflegebedürftigkeit kam als grundsätzlich sehr wichtiger regionaler Einflussfaktor in Betracht, wurde aber aufgrund von Manipulationsanfälligkeit ausgeschlossen. Aus Sicht der AOKen sollte die bisherige jährliche Variablenselektion hingegen beibehalten und von konstanten Parametern abgesehen werden.
Die Vermeidung indirekter Kosteneffekte von Angebotsvariablen, welche im Gutachten ebenfalls eine Rolle spielen, wurde im Rahmen der Gesundheitsministerkonferenz der Bundesländer nach Wissen Prof. Dr. Volker Ulrichs bereits in einer Forderung aufgenommen. Auch in diesem Punkt kann Jörg Friedrich als Vertreter der AOKen nicht in Gänze mitgehen. Er kommentierte die Beziehung zwischen Regionalkomponente dem Lager der AOKen über alle Forschungspunkte hinweg mit den Worten „Er ist kompliziert!“. Dr. Thomas Schepp (Abteilungsleiter Strategisches Controlling, BKK Dachverband e.V.) bewertete die Maßnahme hingegen insgesamt sehr positiv, da in allen Regionalkennzahlen Verbesserungen zu verzeichnen sind.
Manipulationsbremse
Der Erfolg des HMG-Ausschlusses – der sogenannten Manipulationsbremse – wurde beim RSA-Fachkongress aus Perspektive von AOKen und BKKen in Frage gestellt. Auch Prof. Dr. Volker Ulrich erläuterte, dass die negativen Effekte dieses Werkzeugs dominant sind. Dies wird im zugehörigen Gutachten mit der Datenauswertung des Jahres 2021 deutlich.
Die Manipulationsbremse richtet sich nicht an eine einzelne Kasse, sondern entfernt für alle Kassen 5 % der hierarchisierten Morbiditätsgruppen (HMGs) aus dem Morbi-RSA, wenn deren Besetzung in einem Vierjahresvergleich überproportional wächst. Der GKV-Spitzenverband kann dem BAS im Gegenzug Morbiditätsgruppen vorschlagen, bei denen ein überdurchschnittlicher Anstieg der Besetzung nicht aufgrund von Manipulation erfolgt, sondern medizinische (z. B. Epidemien) oder diagnostische (neue Verfahren) Ursachen hat. Diese Morbiditätsgruppen werden im HMG-Ausschlussverfahren entsprechend nicht berücksichtigt (Veto-Recht des GKV-SV).
Das Grundprinzip des Verfahrens macht den HMG-Ausschluss zu einem äußerst wirksamen, aber unspezifischen Instrument. Die Effekte sind mit großen Nachteilen für bestimmte Versicherungsgruppen und somit für Krankenkassen mit hoher Morbiditätslast verbunden. Im Ergebnis verschlechtert sich der RSA, die Morbidität sinkt, Selektionsanreize steigen und Krankenkassen werden ungleich behandelt. Allerdings wies Prof. Dr. Volker Ulrich in seinen Schlussworten darauf hin, dass die Manipulationsbremse nur ein Teil eines Gesamtpakets, beispielsweise im Zusammenspiel mit den Prüfverfahren, darstellt. Außerdem konnten bisher nur die Daten eines Jahres mit HMG-Ausschluss analysiert werden. Ein sicheres Urteil ließe sich erst mit Hilfe einer mehrjährigen Zeitreihe fällen.
In der gemeinsamen Diskussion wird mehrfach empfohlen, die Kritik ernst zu nehmen und die Wirkweise einer kritischen Prüfung zu unterziehen.
Präventionsanreize im Morbi-RSA
Die Voraussetzungen dafür, Prävention in den RSA zu integrieren sind ungünstig.
Benjamin Berndt (Bereichsleiter Versicherungs- und Finanzierungssysteme, WIG2
Institut) erklärte, dass der Grund dafür im System des RSA liegt, welches sich beim Finanzausgleich im Wesentlichen an Morbidität orientiert. Im Widerspruch dazu folgt Primärprävention dem Prinzip, Krankheiten vorzubeugen. Durch erfolgreiche Primärprävention gehen folglich mittelfristig HMG-Zuweisungen aufgrund vorsorglich vermiedener Morbidität verloren. Obgleich primäre Vorsorgemaßnahmen die GKV-Finanzen durch verringerte Ausgaben schonen, kann für Krankenkassen durch die Verringerungen auf der Einnahmeseite der betriebswirtschaftliche Anreiz gering oder gar negativ ausfallen.
Um der Frage „Werden die Präventionsanreize für Kassen durch den RSA kleiner?“, etwas entgegenzusetzen, kam mit dem FKG die Vorsorgepauschale als kleiner Bonus für die Inanspruchnahme bestimmter sekundärer Präventionsleistungen in den RSA. In einer Studie nahm das WIG2 Institut die Wirkung der Vorsorgepauschale unter die Lupe. Mit Hilfe einer retrospektiven Betrachtung der Deckungsbeitragsentwicklung von Präventionsteilnehmern und nicht Präventionsteilnehmern für den Zeitraum von 2018 bis 2020 wurden drei Sekundärpräventionsleistungen untersucht: Freiwillige Vorsorgeuntersuchung, Krebsvorsorge und Zahnvorsorge.
Nach einem Überblick zur Studiendurchführung schloss Benjamin Berndt mit dem Fazit, dass die Pauschale aufgrund des niedrigen Volumens als Anreiz komplett irrelevant ist. Sie deckt die Nachteile der Maßnahmen, z. B. im Zuge der Krebsvorsorge, bei weitem nicht ab. Es sei grundsätzlich noch einmal zu überlegen, wie mit Prävention im RSA umgegangen werden soll. Damit teilte er die Meinung Andreas Grabowski, welcher am frühen Vormittag die Vorsorgepauschale bereits als „Tropfen auf dem heißen Stein“ zitierte – was nicht wundert, da Prävention kein Ziel des RSA ist.
Umgang mit Hochrisikofällen, Alternative zu Risikopool
Wie können stark unterdeckte Hochkostenfälle besser ausgeglichen werden? Christian Schindler (Senior wissenschaftlicher Mitarbeiter, WIG2 Institut) ging dieser Frage in seinem Kongressbeitrag mit Modell nach Schillo et al. (2016) als Alternative zum Risikopool nach. Im Jahr hatte der Wissenschaftliche Beirat dieses Konzept bereits in einem Gutachten untersucht. Mit einer Stichprobe der Datenjahre 2020 und 2021 wurde am WIG2 Institut analysiert, wie die Modelle unter den aktuellen Bedingungen, insbesondere mit Vollmodell, wirken. Das sehr komplexe Vorgehen lieferte sehr gute Ergebnisse.
Der alternative Ansatz beruht darauf, dass die kostenintensivsten, unterdeckten Versicherten über mehrere Jahre hinweg einen unverhältnismäßig hohen Anteil an den Gesamtausgaben verursachen. So verursachen 1 % der Versicherten 22 % der Ausgaben bzw. sind 0,1 % der Versicherten für ganze 6 % der Gesamtkosten verantwortlich. Auf der anderen Seite stehen die günstigen Versicherten. Sie sind in der Regel unterdeckt und sorgen dafür, dass bei 50 % der GKV insgesamt nur 6 % der Leistungsausgaben anfallen.
Je schlechter die Zuweisungen die tatsächlichen Leistungsausgaben der Versicherten decken, desto höher sind die Anreize für die betroffenen Krankenkassen, Risikoselektion zu betreiben. Dieses Ungleichgewicht wird mit dem im FKG verankerten Risikopool (FKG) für überdurchschnittlich hohe Kosten ab einem Schwellwert von 100.000 € zu 80 % ausgeglichen, bevor der RSA berechnet wird. Die alternativen Berechnungen beruhen hingegen auf dem Ausgleich von Unterdeckungen nach der Berechnung des Morbi-RSA.
Mit einer Datenstichprobe aus den Jahren 2020 und 2021 wurden die Modelle am WIG2 Institut in einer explorativen Studie angewendet. Die berechneten Deckungsbeiträge zeigen sowohl mit Blick auf die Ausgabenklassen als auch für die Anzahl an Krankheiten eine Besserstellung für mindestens 90 % der Versicherten. Auf Individualebene werden alle Gütemaße und auf Versichertengruppenebene nahezu alle Werte verbessert – hervorragende Resultate, die zu einer starken Senkung von Selektionsanreizen führen. Den Ergebnissen geht jedoch eine komplexe Methodik mit zweifacher Berechnung des RSA voraus.
Sollten wir Komplexität weiter erhöhen oder lieber verringern? Wieviel Ist-Ausgleich wollen wir im RSA und kann quantitativ ermittelt werden, ob damit Effizienzanreize verloren gehen? Mit diesen Fragen brachte Andreas Grabowski am Ende des Vortrags wichtige Impulse ein, die über die Grenzen des RSA-Fachkongress hinaus zu führen sind.
In der letzten Session des Tages knüpften Prof. Wynand van de Ven (Emeritus Professor of Health Insurance, Erasmus University Rotterdam) und JProf. Dr. Dennis Häckl (Professur Health Economics and Management, Universität Leipzig) an die vorangegangene Funktionsprüfung von RSA und FKG an. Sie schauten auf den GKV-Wettbewerb und luden abschließend mit Moderatorin Ines Weinhold zur gemeinsamen Diskussion.
Benötigen wir einheitliche Beiträge in Versicherungsmärkten mit einem ausgefeilten Risikostrukturausgleich?
Prof. Wynand van de Ven setzte sich damit auseinander, ob vorregulierte, einheitliche Beiträge in Versicherungsmärkten mit einem ausgefeilten Risikostrukturausgleich benötigt werden und welche Alternative fairem GKV-Wettbewerb zuträglicher wäre.
Mit dem grundlegenden Ziel, die Krankenversicherung für alle erschwinglich und zugänglich zu machen, setzen Länder wie Deutschland auf einheitliche, bis zu einem gedeckelten Maximalbetrag einkommensabhängige Beiträge. Mit diesem Werkzeug gehen jedoch auch Über- bzw. Unterdeckungen und damit regulierungsbedingte Anreize zur Risikoselektion einher, denen auch in Deutschland mit einen Ex-ante-Risikoausgleich entgegengewirkt wird. Trotz aller Ausgereiftheit können darüber Selektionsanreize aber nicht komplett verhindert werden. Prof. Wynand van de Ven machte zudem darauf aufmerksam, dass mit einheitlichen Beiträgen auch bei den Versicherten selbst kein risikominderndes Verhalten gefördert wird.
Zur Veranschaulichung eines alternativen Ansatzes, zeigte Prof. Wynand van de Ven eine Simulation mit einem risikobasiertem Subventionsmodell und ohne einheitlichen Beitragssatz, in der die Versicherer risikoadjustierte Prämien verlangen können. Auf Basis eines stark verfeinertem Beitragsmodells mit 401 Risikofaktoren wurden die voraussichtlichen Ausgaben für 2022 mittels der Ausgaben und Faktoren des niederländischen RSA in den Jahren 2020, 2021 und 2022 berechnet. Aus den Berechnungen zog er den Schluss, dass ausreichend angepasste Subventionen einen einheitlichen Beitragssatz unnötig machen und regulierungsbedingte Selektionsprobleme vermeiden werden können. Als Methode für die methodische Weiterentwicklung des RSA empfahl er u. a. Contrained Regression und ergänzte den zusätzlichen Einsatz von High-Risk-Pooling als kostenbasierten Ex-post Ausgleich für besonders hohe Überdeckungen.
In den Niederlanden wird dieser Ansatz seit Beginn des Jahres mit Erfolg umgesetzt.
Entwicklung und Stand der Wettbewerbssituation in der GKV
Grundsätzlich haben Krankenkassen die Möglichkeit, nicht nur über den Preis, sondern auch über die Qualität ihrer Serviceleistungen miteinander in Wettbewerb zu treten. Allerdings ist es für Versicherte schwer die Qualität einer Krankenversicherung jenseits des Preises zu erkennen und zu bewerten. JProf. Dr. Dennis Häckl widmete sich in seinem Redebeitrag möglichen Parametern, die aus Versichertenperspektive für die Einschätzung der verschiedenen Krankenkassen hilfreich sein könnten. Dafür betrachtete er verschiedene Datenquellen und Berechnungen, um u. a. Informationen zu Rehabilitationsanträgen, Hilfsmittelanträgen und zur Anzahl der Widersprüche zu gewinnen. Während der explorativen Sichtung wurden jedoch große Unterschiede in den Datenerhebungen zwischen den einzelnen Kassen deutlich, die Ursachen dafür sind bisher unklar. Auf dieser schwer vergleichbaren Grundlage lassen sich also aktuell bereits aus Expert:innensicht kaum Rückschlüsse ziehen. Ferner ergibt sich daraus die Frage, wie datenbasierte Qualitätsvergleiche für Versicherte verständlich abgebildet werden können.
Auf der Suche nach geeigneten Kennzahlen bekommt JProf. Dr. Dennis Häckl seitens GKV von Christian Keutel (Fachbereichsleiter Risikostrukturausgleich und Haushaltsplanung, SBK Siemens- Betriebskrankenkasse) den Vorschlag die Erreichbarkeit von Krankenkassen als Qualitätsvariable zu nutzen. Als ein Vertreter der SBK sieht Christian Keutel eine gute Beratung als Kriterium, welches in der Rangordnung nach dem Preis ebenfalls relevant ist. In diesem Zuge erwähnt er auch die Anzahl Versicherter in der SBK, welche trotz überdurchschnittlichem Beitragssatz in den letzten Jahren gewachsen ist.
Er stimmt zudem mit Benjamin Berndt überein, dass es den Krankenkassen an Differenzierungsmöglichkeiten fehlt. Dieser Mangel an Steuerungsoptionen liegt an dem Grundprinzip, erfolgreiche Konzepte in die Regelversorgung zu implementieren und damit im Portfolio aller Krankenkassen verfügbar zu machen. Damit geht die Wettbewerbsmöglichkeit verloren, sich als Krankenkasse mit individuellen Leistungen von Mitbewerbern abzuheben.
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