3. RSA-Fachkongress

2021: Wahl für eine faire und patientenorientierte Versorgung?

Am 20. und 21. Oktober kamen zum dritten Mal in Folge Branchenexpert:innen aus Wissenschaft, Politik, staatlichen Institutionen, Krankenkassen und Wirtschaft zum RSA-Fachkongress in Leipzig und virtuell zusammen.

Das vergangene Jahr hielt mit dem Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz (GKV-FKG) umfangreiche Aufgaben zur Reform des Risikostrukturausgleichs (RSA) in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bereit – im „Maschinenraum des Gesundheitssystems“ wurden einige Stellschrauben ergänzt, ausgetauscht und neu justiert. Bis zu 120 Teilnehmer:innen innen – teilweise vor Ort und teilweise virtuell zugeschaltet – blickten an diesen beiden Tagen auf die Ergebnisse der bisherigen Reformarbeit und auf das, was noch kommen wird. Kurz nach der Bundestagswahl stellte sich dabei auch die Frage, ob mit den regulatorischen Neuerungen die richtige Wahl für ein faireres Ausgleichssystems getroffen wurde. Schlagworte wie sektorenübergreifende Versorgung, patientenorientierte Beratung, Digitalisierung und die Folgen der Corona-Pandemie rankten sich mit zahlreichen Beiträgen und Diskussionsrunden um die beiden Kernthemen des Kongresses: den Risikostrukturausgleich und die Finanzierung der GKV, heute und in der Zukunft.

Geleitet und organisiert wurde der 3. RSA-Fachkongress auch in diesem Jahr vom WIG2 Institut aus Leipzig.


Kongresstag 1 – Fokus: wissenschaftliche Weiterentwicklung des RSA

Dr. Dennis Häckl (Geschäftsführer am WIG2 Institut) führte durch das Programm des ersten Kongresstages. Mit seinen Eröffnungsworten gab er einen kurzen gesundheitspolitischen Rückblick zur 19. Legislaturperiode. Anhand einiger Schlaglichter verdeutlichte er, dass in den letzten Jahren durchaus viel passiert sei. Jedoch wurden meist nur die Symptome behandelt. Die eigentlichen Ursachen, z. B. der Personalmangel in der Pflege oder der schwierige Zugang zu Leistungen in einigen Regionen blieben bestehen. Im Zuge teurer Maßnahmen „um Corona herum“ und vieler struktureller Probleme, die nicht in Angriff genommen wurden, pflichtete er der Annahme bei, dass die „fetten Jahre“ vorbei seien. Einen Grund für diese Entwicklung liege unter anderem in oftmals fehlenden Evaluationen. Beim RSA hingegen befand Häckl die Arbeit als sehr gut evidenzbasiert. Als weiteres Positivbeispiel fand das Digitale Versorgungsgesetz (DVG) Erwähnung. Es bietet einen schnellen Weg zur Zulassung von Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA), bei denen der Mehrwert für die Patient:innen im Mittelpunkt steht. Abschließend wurde der Blick nach vorn gerichtet: mit einer Übersicht zu Megatrends und Anregungen zur zukünftigen Rolle der GKV als Lotsen.

Ihren regulatorischen Impulsvortrag zu aktuellen Entwicklungen des RSA begann Dr. Sylvia Demme (Leiterin Referat 316 „Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs, Geschäftsstelle des Wissenschaftlichen Beirats“ am Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS)) mit der Betonung des besonderen Zeitpunktes – kurz vor Regierungsbildung und Durchführung der größten Reform seit Einführung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA). Da einige Reformbausteine, wie die Manipulationsbremse, der Risikopool und die Vorsorgepauschale, jedoch erst mit dem Jahresausgleich kommen werden, wird sich die Gesamtwirkung aller Komponenten auch erst Ende 2023 abzeichnen. Die sich daran anschließenden umfangreichen empirischen Untersuchungen vermögen Aufschluss darüber geben, was in Zukunft verbessert werden kann. Zur spannenden Frage, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf die Zielgenauigkeit des Ausgleichssystems hat, erläuterte sie vorab mit Erleichterung, dass die Plausibilitätsprüfung für 2020 weitestgehend unauffällig gewesen und die Ergebnisse vergleichbar mit dem Vorjahr seien. Die Erkenntnisse aus der Erstmeldung für 2020 deuten auf eine geringfügige Verschlechterung der Zielgenauigkeit bei den Zuweisungen hin. Jedoch versprechen Simulationsrechnungen unter der erstmaligen Berücksichtigung der versichertenindividuellen Arzneimittelrabatte im Rahmen des Risikopools für das Ausgleichsjahr 2021 einen Zuwachs der Zielgenauigkeit.

„Was ist das Ziel des Risikoausgleichs auf Grundlage der aktuellen Gesetzgebung?" In seinem Vortrag erläuterte Prof. Dr. Wynand van de Ven (Professor an der Erasmus University Rotterdam und ehemaliges Mitglied), warum diese Frage im vergangenen Jahr in den Niederlanden neu gestellt wurde. Grundsätzlich scheint man sich in unserem Nachbarland darüber einig zu sein, dass der Risikostrukturausgleich das Ziel verfolgt, „gleiche Wettbewerbsbedingungen für die Versicherer zu schaffen“ und gleichermaßen „die Anreize zur Risikoselektion zu vermeiden“. Doch offen ist, welche Rolle dabei die Effizienz spielt. Sollte Effizienz nur eines der Auswahlkriterien für die Wahl zwischen verschiedenen, gleicheffektiven Werkzeugen zur Erreichung des Ziels sein? Oder sollte die Effizienz selbst auch ein Teil des Ziels sein? In jedem Fall beeinflusst die Effizienz die Zieldefinition und darüber hinaus auch die Ausgestaltung und die Bewertungskriterien des Risikostrukturausgleichs. Van de Ven persönlich würde gleiche Wettbewerbsbedingungen und Vermeidung von Risikoselektion als Ziel, ergänzt um Effizienz als Auswahlkriterium bevorzugen. Es wäre ein klar formuliertes Bestreben. Über die RSA-Versichertendaten und eine umfangreiche Datenbank basierend auf den Patient:innen-Registrierungen der Hausärzt:innen gäbe es in den Niederlanden auch schon einen Entwurf, wie die Ziele messbar wären. Hat denn die deutsche Gesetzgebung das Ziel des Risikoausgleichs klar definiert? Dieser Frage wurde in einem späteren Diskussionspanel intensiver auf den Grund gegangen.

Als nächster Referent sprach Prof. Dr. Volker Ulrich (Professor an der Universität Bayreuth und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs am BAS) über seine persönliche Sicht zu den Weiterentwicklungen des Risikostrukturausgleichs. Er unterstrich die Ausführungen seiner Vorrednerin Demme zum aktuellen Stand der Reform und bestätigte dem BAS bis 2024 ein straffes Umsetzungsprogramm. Den Gesamteffekt von COVID19 markierte er kurz als unbestimmt, bevor er ein paar der Reformbausteine besonders hervorhob. So erachtete er es als wichtig, die kontrovers diskutierte Manipulationsbremse 2021 anzuwenden und 2023 zu evaluieren. Sie spiele für den Wettbewerb der Krankenkassen eine bedeutende Rolle und ersten Simulationen zu Folge sei mit keinen unerwarteten Ergebnissen bzw. Effekten zu rechnen. Erfolgsbasierte Zahlungsmodelle (Pay for Performence-Verträge), z. B. für teure Medikamente, sehe er unter anderem aufgrund des Risikopools für den Morbi-RSA als Herausforderung. Im Bereich Multi- und Co-Morbidität sorgen das Vollmodell und insbesondere der Risikopool für einen Rückgang der Fehldeckungen und führen damit in die richtige Richtung. Mit Blick auf die derzeitigen politischen Geschehnisse zeigte Ulrich sich nicht euphorisch, er hoffe jedoch, dass die Politik den Morbi-RSA weiterhin unterstützt. Davon abgesehen werden die geplanten Evaluationen auf jeden Fall sehr hilfreich sein.

Prof. Dr. Julia Stingl (Institutsdirektorin an der Universitätsklinik RWTH Aachen und dort erst jüngst berufenes BAS-Beiratsmitglied) beschäftigt sich mit der Wirkung von Arzneimitteln und gab mit ihrem Beitrag neue Impulse zu aktuellen Entwicklungen in der Arzneimitteltherapie und den damit assoziierten Folgekosten. In Ihrem Fachgebiet spielt die personalisierte Medizin eine wichtige Rolle. Dabei handelt es sich um zielgerichtete Therapieentwicklungen und passgenaue Versorgung für kleine Patient:innengruppen. Personalisierte Therapieansätze können über eine bedingte Zulassung schneller zugelassen werden, wenn es für den Fall keine Standardtherapie gibt. Am Beispiel von sturzassoziierten Arzneimitteln machte Stingl die Bedeutung von Folgekosten und personalisierter Medizin deutlich: Bei älteren Menschen seien die Folgekosten weitaus höher als die eigentlichen Therapiekosten der Medikamente. Durch eine personalisierte Therapieanpassung könne die Wirksamkeit verbessert, Nebenwirkungen vermieden und somit Kosten eingespart werden. Da dieses Themengebiet im RSA bisher nicht berücksichtigt wird, blieb am Ende die Frage offen, wie die schnelle, bedingte Zulassung personalisierter Arzneimittel für kleine Gruppen und die Folgekosten von Arzneimitteltherapien in die Berechnung des RSA mit einfließen könnten.

Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Entwicklung der Morbidität – diesem Thema widmete sich das WIG2 Institut bereits im letzten Jahr und stellte beim 2. RSA-Fachkongress erste Thesen vor. Nun schaute Benjamin Berndt (Bereichsleiter Krankenversicherung am WIG2 Institut), wie sich die Morbidität im Pandemie-Jahr 2020 tatsächlich darstellte. Die Analyse der Daten zeigt, dass erkrankte Versicherte kontinuierlich mit Arzneimitteln versorgt wurden. Die arzneivalidierte Morbidität wirkt in diesem Jahr als „Stabilisator der Morbiditätsabbildung“. Im Gegensatz dazu fiel die diagnosebasierte Morbidität insbesondere aufgrund weniger Ärzt:innen-Patient:innen-Kontakte geringer aus als sie faktisch war. Auch stationär versorgte Morbidität wurde weniger oft aufgegriffen. So gab es beispielsweise einen Einbruch bei planbaren Operationen und weniger Notfälle wurden versorgt als tatsächlich vorgefallen. Wahrhaftig weniger saisonale Infektionskrankheiten sorgten im ambulanten Bereich unter anderem für eine ebenso verringerte Morbidität. Mit Blick auf die Altersgruppen sind Jüngere überproportional vom Rückgang der Gesamtmorbidität betroffen. Wird allein die Ebene der Mengenkomponenten betrachtet, ist eine Umschichtung der Zuweisungsverteilung von HMGs Richtung AGGs zu erwarten. Insgesamt sei die Verringerung der Morbidität merklich, aber nicht dramatisch, so Berndt. Die Annahmen aus dem Vorjahr in Bezug auf die Morbiditätsgrundlage haben sich also weitgehend bestätigt.

Der Frage, ob diese Entwicklungen für den Einsatz der Manipulationsbremse sprechen, begegnete Berndt mit der Vermutung, dass sie den Anwendungsplan dieses Instruments an einigen Stellen durchaus konterkarieren könnten.

Damit ging es nahtlos in die Diskussionsrunde, welche mit einem Impuls von Prof. Dr. Amelie Wuppermann (Professorin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats am BAS) eröffnet wurde. Sie fragte, welche anderen Methoden zur Vorhersage von Gesundheitskosten noch denkbar wären. Könnte z. B. maschinelles Lernen eine Möglichkeit sein, um die Manipulationsanfälligkeit des RSA zu reduzieren? Außerdem schlug sie vor, beschränkte Regression als systemoptimierendes Werkzeug einzusetzen. Diesen Ansatz, der bereits in den USA erprobt wird, befand auch Demme in der anschließenden Gesprächsrunde für durchaus prüfenswert. Für mehr Kontroverse sorgte daraufhin die erneut aufgeworfene Frage nach dem Ziel des Risikostrukturausgleichs, insbesondere im Zusammenhang mit fairen Wettbewerbsbedingungen für die Versicherer. Wo dieser Aspekt in den Niederlanden laut van de Ven eines der übergeordneten Ziele darstellt, werde in Deutschland primär die Vermeidung bzw. Reduzierung von Risikoselektionsanreizen angestrebt, so Demme. Der faire Wettbewerb werde jedoch als wichtiges Werkzeug er- und beachtet, um dieses Hauptziel zu erreichen.

Mit dem letzten Vortrag des Tages blickten wir weiter über den Tellerrand und luden Prof. Dr. Sebastian Bauhoff (Professor an der Harvard TN Chan School of Public Health) dazu ein, einen Überblick zu den Risikostrukturausgleichssystemen in den USA zu geben. Er beschrieb den Markt mit seinen unterschiedlichen Versicherungsmodellen und RSA-Systemen als stark fragmentiert. Ein gemeinsames, übergeordnetes Thema, an dem alle Akteure arbeiten, ist wie auch in Deutschland und den Niederlanden der Umgang mit Über- und Unterdeckung.


Kongresstag 2 – Fokus: GKV-Finanzierung

Am Morgen darauf begrüßte Martin Blaschka (Leiter Netzwerk und Veranstaltungen am WIG2 Institut) die Gäste zum zweiten Kongresstag. Die Agenda hielt perspektivreiche Beiträge zum Thema GKV-Finanzierung bereit.

Den Anfang machte die Keynote zu datengetriebener Innovation im Gesundheitssystem von Lars Roemheld (Director AI & Data am hih – health innovation hub). Er startete mit einem Abriss dazu, was in jüngerer Zeit für eine patient:innenorientierte, digitale Gesundheitsversorgung getan wurde. Ein Beispiel war das neu strukturierte Forschungsdatenzentrum für Versorgungsforschung. Damit werde es nun möglich sein, eine Datenspende über die Elektronische Patientenakte und eine Vertrauensstelle des Robert Koch-Instituts (RKI) einzureichen. Zudem sprach er über die gesetzliche Erneuerung des Krebsregisters sowie die Aktualisierung von §§ 68a/b nach dem Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG). Durch die Einführung der Widerspruchsregelung können GKV nun im Sinne der Patient:innen leistungserbringerübergreifende Angebote machen, Daten auswerten und damit zeitgenau agieren. Anschließend ging es um das „Modellvorhaben zur umfassenden Diagnostik und Therapiefindung mittels Genomsequenzierung bei seltenen und bei onkologischen Erkrankungen, Verordnungsermächtigung“. Auf die Anmerkung, ob die Datenschutzdiskussion bei abrechnungsdatengetriebenen Innovationen wie dieser ausreichend geführt wird, meinte Roemheld, dass hier seitens des Gesetzgebers ein guter, sinnvoller Kompromiss gefunden worden sei.

Auch danach „blieb alles neu“ und innovativ – mit Ilka Dekan (Geschäftsführerin der INNO3 GmbH) und ihrem Impulsvortrag „GKV-Controlling in die Zukunft gedacht“. Nachdem sie eine Auswahl an Vorreiterunternehmen und neuen Technologien im Gesundheitswesen zeigte, fragte sie ins Publikum: Wie sieht eine moderne Gesundheitsversorgung im Jahr 2030 aus? Und wie verändert sich unsere Sicht auf das GKV-Controlling, wenn wir an solch eine Zukunft denken? Für sie selbst bestehe die Antwort insbesondere aus der Bewertung über Kund:innen- bzw. Patient:innenreisen und sektorenübergreifender Versorgung. Controller:innen werden dabei zu Lots:innen und Berater:innen. Und der Wert des Controllings liegt in der Initiierung und Moderation von echten Steuerungsansätzen gemeinsam mit Daten- und Fachexpert:innen.

Dr. Thomas Höpfner (Geschäftsführer am WIG2 Institut) brachte das Publikum in seinem darauf folgdenden Vortrag zurück in die Realität der Finanzen, indem er sich dem wichtigen und viel diskutierten Bereich der versicherungsfremden Leistungen widmete. Er erklärte, dass bei versicherungsfremden Leistungen in der GKV die Grenze zwischen zwei Systemen durchbrochen wird. Auf der einen Seite die „GKV-typischen“ Leistungen der beitragsfinanzierten Sozialversicherung und auf der anderen Seite öffentliche Aufgaben der Gebietskörperschaften. Aufgaben der Gebietskörperschaften werden durch die GKV übernommen, dafür fließen Bundeszuschüsse als Gegenfinanzierung. Die bisher sehr unterschiedlichen Definitionsansätze dieses Leistungsbereichs sorgen für eine gewisse Intransparenz, welcher Wert überhaupt gegenzufinanzieren ist. Am WIG2 Institut wurde im Rahmen einer Expertise eine neue Definition für versicherungsfremde Leistungen vorgeschlagen und die damit erfassbaren Leistungen finanziell bewertet. Von diesem Wert weichen die Bundeszuschüsse deutlich ab. Herr Höpfner stellte die grundsätzliche Frage, wofür Bundeszuschüsse verwendet werden sollen – zur Finanzierung versicherungsfremder Leistungen oder zur Stützung des Beitragssatzes. Die Höhe des Bundeszuschusses in den Gesundheitsfonds brachte er im weiteren Verlauf auch in Bezug zu den Bundeszuschüssen und deren Begründungen in anderen Sozialversicherungszweigen.

Mit sieben Thesen gab Prof. Dr. Jürgen Wasem (Lehrstuhl für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen) einen Ausblick auf die „GKV-Finanzierung 2022 & beyond“. Da ein großer Anteil der Kosten für die Corona-Pandemie bisher mit Bundesmitteln finanziert wurden, sei es seiner Meinung nach zwar nicht unproblematisch, aber legitim, dass in diesem Jahr Rücklagen der GKV zur Finanzierung einnahmeseitiger Pandemie-Effekte aufgewendet werden. Neben der Schließung der dadurch entstandenen Finanzlücke 2022 stellt sich aber auch die Frage nach einem grundlegenden Lösungsansatz für die kommenden Jahre. Es wäre z. B. möglich, der zunehmenden Finanzierung mit Bundeszuschüssen oder strukturellen Veränderungen beizukommen. Für kurzfristige Erfolge müssten jedoch Kosten durch Einsparungen bei den Versicherten oder bei Leistungserbringenden gedämpft werden. Wie auch schon Häckl in seinem Einführungsvortrag ging Wasem davon aus, dass die „opulenten Jahre“ der GKV-Finanzierung vorbei sein dürften. In Bezug auf den demografischen Wandel vertrat er die These, dass dieser zwar Einfluss nehmen werde, aber kein Grund zur Sorge bestehe. Das gilt ebenso für den Fall, wenn mehr Kosten über Beitragssatzerhöhungen ausgeglichen werden müssten, solange die Beiträge für die Versicherten nur langsam steigen.

Mit Impulsen und Fragen zu Auswirkungen der Corona-Pandemie und der Rolle von Bundeszuschüssen ging es in die Diskussionsrunde, moderiert von Dr. Thomas Höpfner. Diskutant:innen waren Thomas Schepp (BKK-Dachverband), Maximilian Schwarz (Geschäftsführer von 4K ANALYTICS) und der Vorredner Prof. Dr. Jürgen Wasem. Beim BKK-Dachverband werden mit Spannung die Koalitionsgespräche und z. B. deren Auswirkungen auf die aktuellen Verhandlungen zur Höhe der Bundeszuschüsse verfolgt – ein Thema, dass auch laut Schwarz für einige Einzelkassen aufgrund ihrer Vermögenslage interessant sein werde. Apropos Bundeszuschüsse – Wasem machte deutlich, dass er die heute bereits besprochene Abgrenzung zwischen versicherungsfremden Leistungen und Sozialversicherung für schwer machbar hält. Für Höpfner sei eine klare Definition dieses Leistungsbereichs zur objektiven Betrachtung dennoch unabdingbar. Darüber, dass aus den Geschehnissen der Corona-Pandemie so schnell wie möglich Lehren gezogen werden sollten, waren sich alle einig. In der Diskussion stand ein Vorschlag von Schwarz, mit neuen, innovativen Methoden die Planbarkeit für Einzelkassen und das Gesamtsystem zu verbessern. So könnten beispielsweise Frühindikatoren mittels neuer Methoden in die Berechnung mit einbezogen werden.

In der Closing Keynote berichtete Prof. Dr. Ab Klink (Freie Universität Amsterdam, niederländischer Gesundheitsminister 2007–2010, Senior Berater PwC/Strategy&) über Auswirkungen und Management der Corona-Pandemie in den Niederlanden. Aus den Lektionen der Pandemie haben die Niederländer:innen unter anderem gelernt, dass die Digitalisierung Vorteile für die Patient:innen brachte und die Effizienz erhöhte. Es müssen neue Möglichkeiten gefunden werden, wie die Verdiensteinbrüche der Leistungserbringenden nachgeholt werden können und wie flexibel auf den schwankenden Bedarf von Intensivbetten reagiert werden kann. Indirekt sei zudem durch die vielen Behandlungen, die nicht stattfanden und nie stattfinden werden, bestätigt worden, dass es eine Überversorgung gibt. Den Belastungen durch die Corona-Pandemie werde erfolgreich mit der bewährten Zusammenarbeit zwischen Ärzt:innen und Kassen begegnet. Individuell verhandelte, lohnenswerte Verträge sorgen bei den Ärzt:innen für Innovationsanreize, worüber sowohl Effizienz und Digitalisierung, als auch die Bekämpfung von Überversorgung vorangetrieben werden. Im nächsten Schritt solle die schon oft befürwortete Rolle der Kassen als Berater und Lotsen auf die Agenda gebracht werden. Einen vergleichbaren Weg würde Klink auch als Empfehlung an die derzeitigen Koalitionsverhandlungen in Deutschland mitgeben.

Nach diesem Resümee verabschiedete Martin Blaschka die Gäste vorfreudig mit den Worten
„Ab drei Mal ist es Tradition“ ... wir sehen uns 2022!

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